Friedrich Hitschmann

Die umfassende Dokumentation

Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


friedrich_hitschmann_-_der_blinde_in_der_gesellschaft

Unterschiede

Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.

Link zu dieser Vergleichsansicht

Beide Seiten der vorigen RevisionVorhergehende Überarbeitung
Nächste Überarbeitung
Vorhergehende Überarbeitung
friedrich_hitschmann_-_der_blinde_in_der_gesellschaft [2024/11/24 18:11] – [Der Blinde in der Gesellschaft.] Daniel Schönfeldfriedrich_hitschmann_-_der_blinde_in_der_gesellschaft [2024/11/24 18:18] (aktuell) – [Der Blinde in der Gesellschaft.] Daniel Schönfeld
Zeile 25: Zeile 25:
 Die Weichheit und Hingebung, welche dem Gemüth des Blinden eigen ist, und die ihm auch zur Zeit seiner Vollkraft etwas Weibliches verleiht, lässt ihn naturgemäß den Verkehr mit Frauen bevorzugen, und auch diese fühlen sich gar oft wie durch Wahlverwandtschaft zu ihm hingezogen. Die Weichheit und Hingebung, welche dem Gemüth des Blinden eigen ist, und die ihm auch zur Zeit seiner Vollkraft etwas Weibliches verleiht, lässt ihn naturgemäß den Verkehr mit Frauen bevorzugen, und auch diese fühlen sich gar oft wie durch Wahlverwandtschaft zu ihm hingezogen.
  
-Der Mangel des Lichtsinns verringert auch die sinnliche Erregbarkeit des Blinden um ein Bedeutendes, und so ist dieser weit mehr als der Vollsinnige in der Lage, sich dem Zauder rein ideeller, sogenannter platonischer Verhältnisse rückhaltslos hinzugeben.+Der Mangel des Lichtsinns verringert auch die sinnliche Erregbarkeit des Blinden um ein Bedeutendes, und so ist dieser weit mehr als der Vollsinnige in der Lage, sich dem Zauber rein ideeller, sogenannter platonischer Verhältnisse rückhaltslos hinzugeben.
  
-Die in neuerer Zeit mehrfach discutierte Frage der Blindenehe kann ich in diesem Zusammenhang begreiflicherweise nur streifen. Sie scheint mir übrigens rein praktischer Natur zu sein, denn freilich muss sich der Blinde, dessen praktische Thätigkeit oft nicht einmal ihm selbst den Lebensunterhalt zu sichern vermag, reiflich bedenken, ehe er die Verantwortung auf sich nimmt, welche die Begründung einer eigenen Familie ihm auferlegt; dass er jedoch mit seinem reichen Gemüthe, welches der Liebe in so hohem Grade bedürftig und fähig ist, auf das Familienleben geradezu hingewiesen scheint, das, glaube ich, ist über jeden Zweifel erhaben. Über die Ehe Blinder mit Blinden hat die Wissenschaft noch nicht ihr letztes Wort gesprochen; wenn jedoch erwiesen werden sollte, dass die Kinder aus solcher Ehe nicht nothwendig das Gebrechen ihrer Eltern theilen müssen, dann ließe sich, abgesehen von verstärkten materiellen Bedenken, auch gegen sie wohl nichts Ernstliches einwenden. Wie aus dem intensiveren Geistesleben des Blinden, so entspringen auch aus der Lebhaftigkeit seines Gemüthes manche Übelstände, die wohl in dem Vorwurf gipfeln, dass er äußerst empflindlich und besonders durch alles, was auf sein Gebrechen Bezug hat, leicht zu verletzen sei. Man nimmt gewöhnlich an, der Blinde fühle, so wie der Sehende fühlte, wenn er etwa durch einen Unfall plötzlich des Augenlichtes beraubt würde, und vergisst zu bedenken, dass jener sich durch jahrelange Gewohnheit in seinen Zustand hineingefunden und die wahre Schätzung dessen, was er entbehrt, längst verloren oder gar nie besessen hat. Ich selbst habe von Blinden behaupten hören, sie stünden dem Sehenden in nichts oder doch nur in unwesentlichen Dingen nach, und hielten die Blindheit daher für kein besonderes Unglück. Demnach ist die Ängstlichkeit, mit welcher zartfühlende Menschen so oft alles vermeiden, was den Blinden an sein Leiden erinnern könnte, als durchaus überflüssig anzusehen. Nur wenn brutale Lieblosigkeit oder kalte Neugier an ihn herantreten, pflegt der Blinde es bitter zu empfinden. Auf theilnehmende Fragen dagegen antwortet er gern und ausführlich, und ist sogar stolz darauf, den Fragenden mit den mannigfachen Errungenschaften bekanntzumachen, welche das bereits hochentwickelte Blindenwesen unserer Tage auszuweisen hat. In geselligem Kreise freilich sei es dem Blinden vergönnt, jede hemmende Schranke, jede störende Besonderheit seines Wesens zu vergessen und sich als Mensch unter Menschen zu fühlen, weil er nur so die hohen Segnungen wahrer Geselligkeit zu genießen vermag, für welche er, wie ich gezeigt zu haben glaube, in hohem Maße beanlagt ist. //Friedrich Hitschmann//.+Die in neuerer Zeit mehrfach discutierte Frage der Blindenehe kann ich in diesem Zusammenhang begreiflicherweise nur streifen. Sie scheint mir übrigens rein praktischer Natur zu sein, denn freilich muss sich der Blinde, dessen praktische Thätigkeit oft nicht einmal ihm selbst den Lebensunterhalt zu sichern vermag, reiflich bedenken, ehe er die Verantwortung auf sich nimmt, welche die Begründung einer eigenen Familie ihm auferlegt; dass er jedoch mit seinem reichen Gemüthe, welches der Liebe in so hohem Grade bedürftig und fähig ist, auf das Familienleben geradezu hingewiesen scheint, das, glaube ich, ist über jeden Zweifel erhaben. Über die Ehe Blinder mit Blinden hat die Wissenschaft noch nicht ihr letztes Wort gesprochen; wenn jedoch erwiesen werden sollte, dass die Kinder aus solcher Ehe nicht nothwendig das Gebrechen ihrer Eltern theilen müssen, dann ließe sich, abgesehen von verstärkten materiellen Bedenken, auch gegen sie wohl nichts Ernstliches einwenden. Wie aus dem intensiveren Geistesleben des Blinden, so entspringen auch aus der Lebhaftigkeit seines Gemüthes manche Übelstände, die wohl in dem Vorwurf gipfeln, dass er äußerst empfindlich und besonders durch alles, was auf sein Gebrechen Bezug hat, leicht zu verletzen sei. Man nimmt gewöhnlich an, der Blinde fühle, so wie der Sehende fühlte, wenn er etwa durch einen Unfall plötzlich des Augenlichtes beraubt würde, und vergisst zu bedenken, dass jener sich durch jahrelange Gewohnheit in seinen Zustand hineingefunden und die wahre Schätzung dessen, was er entbehrt, längst verloren oder gar nie besessen hat. Ich selbst habe von Blinden behaupten hören, sie stünden dem Sehenden in nichts oder doch nur in unwesentlichen Dingen nach, und hielten die Blindheit daher für kein besonderes Unglück. Demnach ist die Ängstlichkeit, mit welcher zartfühlende Menschen so oft alles vermeiden, was den Blinden an sein Leiden erinnern könnte, als durchaus überflüssig anzusehen. Nur wenn brutale Lieblosigkeit oder kalte Neugier an ihn herantreten, pflegt der Blinde es bitter zu empfinden. Auf theilnehmende Fragen dagegen antwortet er gern und ausführlich, und ist sogar stolz darauf, den Fragenden mit den mannigfachen Errungenschaften bekanntzumachen, welche das bereits hochentwickelte Blindenwesen unserer Tage aufzuweisen hat. In geselligem Kreise freilich sei es dem Blinden vergönnt, jede hemmende Schranke, jede störende Besonderheit seines Wesens zu vergessen und sich als Mensch unter Menschen zu fühlen, weil er nur so die hohen Segnungen wahrer Geselligkeit zu genießen vermag, für welche er, wie ich gezeigt zu haben glaube, in hohem Maße beanlagt ist. //Friedrich Hitschmann//.
  
  
friedrich_hitschmann_-_der_blinde_in_der_gesellschaft.1732471912.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/11/24 18:11 von Daniel Schönfeld

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki