Friedrich Hitschmann

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Brandstaeter, August: Nochmals Fried. Hitschmann: Ueber die Prinzipien der Blindenpädagogik. In: Der Blindenfreund 19 (1899), S. 215-219

Online-Version: https://archive.org/details/derblindenfreund1920unse/page/n215/mode/2up

Nochmals Fried. Hitschmann: Ueber die Prinzipien der Blindenpädagogik.

Nachdem ich die Besprechung der kleinen Schrift von Friedrich Hitschmann in Wien: „Ueber die Prinzipien der Blindenpädagogik“ von dem Kollegen Lembcke-Neukloster im „Blindenfreund“ und dann das Schriftchen selbst gelesen hatte, stieg in mir der lebhafte Wunsch auf, mit dem Verfasser der Schrift über den Inhalt derselben mündlich verhandeln zu dürfen, da ich den Gedanken nicht los werden konnte, dass H. in seiner Arbeit nicht Alles so klar ausgesprochen habe, als es sein Wunsch sein musste. Bei meiner Anwesenheit in Wien im Mai d. Js, bemühte ich mich daher sofort um die Adresse H’s., erfuhr aber in dem israelitischen Blinden-Institute auf der hohen Warte zu meinem Bedauern, dass H. bereits im Jahre 1895 verstorben war. War und ist mir so die Möglichkeit abgeschnitten, von dem Verfasser selbst zu hören, ob meine Vermutung richtig sei, so möge es mir gestattet sein, vor den Lesern des „Blindenfreundes“ meine Ansichten über die Schrift von H. darzulegen und, gleichsam als Anwalt des Toten, nachzuweisen, dass er für seine Gedanken nicht immer den zutreffenden Ausdruck hat finden können, dass aber der Gedanke, den ich für den Kernpunkt seiner Ausführungen halte, für die Blindenpädagogen von Wert ist. Ich werde hierbei Manches in dem von H. Niedergeschriebenen unbeachtet beiseite liegen lassen, manches als unrichtig kennzeichnen und manches für unrichtig erklären müssen, was in der Arbeit selbst in den Vordergrund gerückt ist, um nur den einzigen Gedanken zu retten und klar zu stellen, der mir des Festhaltens wert erscheint. Ob dieses Verfahren ein willkürliches oder innerlich berechtigtes ist, bitte ich die Leser dieses Blattes zu beurteilen.

H. spricht von einem doppelten Standpunkte, den der Pädagog in der Frage der Menschenbildung überhaupt einzunehmen vermag und kennzeichnet diese beiden Standpunkte, indem er sagt: „Entweder es schwebt ihm ein allgemeines, gleichsam typisches Menschenideal vor, das er nach Kräften in seinem Zöglinge zu verwirklichen suchen müsse“ oder der Pädagog geht von den Anlagen des Zöglings aus, „um den Zögling zu dem Höchsten auszubilden, was er mit Hilfe und innerhalb der Schranken seiner Beanlagung zu wenden vermag.“

„Ich halte diese Unterscheidung für eine künstlich gemachte, welche in der Wirklichkeit niemals angestellt werden kann, denn beide Ansichten stimmen im Ziele, das sie verfolgen wollen, wie im Wege, der zu diesem Ziele führen soll, überein. Das „gleichsam typische Menschenideal“ — wenn damit nicht ein falsches, eigensinnig festgehaltenes gemeint ist, – und „das Höchste, wozu sich der Zögling ausbilden lässt“, sind in der Idee dasselbe; denn das ist eben das Ideal des Erziehers, seinen Zögling so weit zu fördern, als es die Anlagen desselben gestattet. Ebenso ist von beiden künstlich auseinander gehaltenen Standpunkten derselbe Weg einzuschlagen, um das Ziel zu erreichen, denn in jeder Erziehung müssen die Anlagen des Zöglings berücksichtigt und zur Grundlage der Erziehungsarbeit gemacht werden, sowohl von dem, der danach strebt, „dass die Anlagen des jugendlichen Geistes sich möglichst genau in den Gleisen der durch jenes Ideal zum voraus normierten Entwicklung halten,“ als von dem, der zu erkennen sucht, „zu welcher Art der Entwicklung in dem Schüler die natürlichen Tendenzen vorhanden sind und sein Verfahren diesen natürlichen Tendenzen anpasst.“ Wenn in einem Zöglinge Anlagen vorhanden sind und die grössere Möglichkeit gegeben ist, sie auszubilden, so ist es nichts Unnatürliches, wenn sie in idealem Sinne ausgebildet und zur höchsten Entfaltung gebracht werden.

H. versucht es nun im Weiteren auch gar nicht nachzuweisen dass das von den Blindenpädagogen in ihrer Erziehungsarbeit verfolgte Ziel ein falsches sei ; und wenn er es gewollt hätte, mit gutem Gewissen konnte er es nicht einmal, denn die Geschichte lehrt, dass nicht die Blindenpädagogen das Ziel der Blindenerziehung aufgestellt haben, sondern dass es die Blinden selbst waren, welche zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft erzogen werden wollten, und dass einzelne dieses Ziel auch schon erreichten, bevor es Blindenlehrer und Blindenanstalten gab. H. braucht diese künstliche Unterscheidung der pädagogischen Standpunkte auch nur, um auf seinen, auf einem ganz andern Gebiete liegenden Hauptgedanken zu kommen.

Um meiner Aufgabe als Anwalt gerecht zu werden, bemerke ich noch, dass H. das Wort „Anlagen“ an verschiedenen Stellen seiner Arbeit so braucht, dass man zweifelhaft wird, ob er ihm den allgemein gebräuchlichen Sinn beilegt. Nach diesem ruht die Anlage in der Seele, bedarf aber eines Organes, um sich zu entwickeln und zu bethätigen. Es ist daher zu unterscheiden zwischen der inneren Anlage und der äusseren Möglichkeit sie zu offenbaren.

Einen Blinden kann man niemals zu einem Maler ausbilden, weil die Möglichkeit fehlt, eine etwa in ihm vorhandene Anlage dazu zu entwickeln; aber nicht jeden Blinden kann man zu einem Musiker ausbilden, da bei jedem wohl die äussere Möglichkeit, aber nicht die innere Anlage dazu vorhanden ist. Wenn H. von den „dem Blinden eigentümlichen Anlagen“ spricht, so scheint er nicht die in der Seele ruhenden Anlagen zu meinen, die den Menschen gegeben sind unabhängig von der geringeren oder grösseren Vollkommenheit ihres Körpers, sondern die durch den Mangel des Augenlichts bedingte Art der Möglichkeit, die vorhandenen Anlagen zu entwickeln. So aufgefasst, würde man wohl von einem doppelten Standpunkte der Pädagogen reden können, aber dann wäre es verkehrt, von einem oder dem andern dieser Standpunkte aus die Frage der Menschenerziehung im Allgemeinen lösen zu wollen, da jeder dieser beiden Standpunkte nur berechtigt, Ziel und Methode eines kleinen Gebietes des Unterrichtes zu bestimmen, je nachdem man den Mangel des einen oder anderen Organes voraussetzt.

Wir kommen also auch bei dieser Annahme zu dem Schlusse, dass H. sich vergriffen hat. Er geht wohl von dem Gedanken aus, dass die Blindenpädagogen bei der Erziehung ihrer Zöglinge auf einem falschen Standpunkte stehen, beweist es aber nicht, sondern behauptet in seinen weiteren Ausführungen nur, dass sie den in allem Sachunterricht geltenden Grundsatz, dass ohne Anschauung keine wahre Geistesbildung möglich sei, für den Unterricht bei blinden Kindern nicht richtig auslegen und in falscher Weise anwenden. Er giebt zu, dass ohne Anschaulichkeit im Unterricht kein geistiger Fortschritt möglich sei, dass die letzte Basis alles Denkens eine konkrete sein müsse; er erkennt das Pestalozzi’sche Anschauungsprinzip als richtig an, macht es aber den Blindenpädagogen zum Vorwurf, dass sie dieses Prinzip, beim Unterricht ihrer blinden Schüler in derselben Art und Weise zur Geltung bringen wollen, als es bei dem der sehenden Schüler geschieht, und geht von der Ansicht aus, dass die Mehrzahl der Blindenpädagogen auf diesem Gebiete nur dahin bemüht ist, „den Abstand zwischen dem Blinden und dem Sehenden nach Möglichkeit zu verringern, den Lichtlosen — inbezug auf Reichtum an Sinnneseindrücken — dem Vollsinnigen so ähnlich als möglich zu machen.“

Bringen wir den Vorwurf, welchen H. erhebt, in kurze Worte, so lautet er : Die Blindenpädagogen verlangen von ihren Schülern 1. der Qualität nach Anschauungen, welche sie ihrer Natur nach niemals gewinnen können und 2. der Quantität nach eine so grosse Menge von Anschauungen, wie sie auch bei den höchsten Anforderungen für den Blinden nicht erforderlich ist.

Zunächst bemerke ich hier noch, dass H. Pestalozzi’s Lehre von der Anschauung rein äusserlich, grob sinnlich fasst, und der Vorwurf, die Blindenpädagogen gingen auf diesem Gebiete irre, sich nur auf die Gewinnung rein sinnlicher Anschauungen bezieht.

Indem H. die beiden obigen Vorwürfe erhebt, behauptet er damit folgendes: 1. Die sinnlichen Anschauungen des Blinden und des Sehenden und damit die entsprechenden Vorstellungen derselben unterscheiden sich in ihrer Art wesentlich von einander, und sind weder in ihrer Beschaffenheit, noch in ihrer Bedeutung für den Unterricht — und damit zugleich für die geistige Entwicklung des Schülers — mit einander zu vergleichen; 2. weil die sinnlichen Anschauungen des Blinden und die Vorstellungen, welche er daraus gewinnt, für seine Ausbildung nicht die hohe Bedeutung haben, welche die ganz anders gearteten Anschauungen und Vorstellungen des Sehenden für die geistige Entwicklung des letzteren haben, so darf auch nicht gefordert werden, dass die Blinden im Unterrichte eine so grosse Menge von Anschauungen gewinnen und dass für diesen Zweck so viel Zeit verwendet werde.

Uns Blindenlehrer interessiert zunächst nur die erste dieser beiden Behauptungen und erst dann, wenn die Wahrheit derselben nachgewiesen worden wäre, würden wir uns mit der zweiten zu beschäftigen haben. Hören wir, wie H. seine erste Behauptung zu stützen versucht.

Seltsamer Weise geht er von dem Gedanken aus, dass nicht die Blinden nach sinnlicher Anschauung der realen Dinge verlangen, sondern dass es nur die sehenden Blindenlehrer sind, welche bei der Unterweisung Blinder solche Anschauungen für erforderlich halten, dass sie, die sehenden Blindenlehrer, da zur Gewinnung solcher Anschauungen ein Sinn, ein Organ notwendig ist, einen Ersatz für das fehlende Auge bei den übrigen, dem Blinden verbliebenen Sinnen gesucht, und dass sie in dem Tastsinn den vorzüglichsten Stellvertreter des Auges gefunden haben; und zwar soll das Alles nur geschehen sein in dem Streben, „das Geistesleben des Blinden jenem des Sehenden möglichst anzunähern.“ Sollte H. nicht gewusst haben, dass die Blinden auch in diesem Punkte die Lehrer ihrer Lehrer gewesen sind, und dass sie selbst es waren und noch heute sind, welche den Tastsinn, sowie die anderen ihnen verbliebenen Sinne gebrauchen, um sich mit der sie umgebenden Welt bekannt zu machen?

(Schluss folgt.)

Brandstaeter, August: Nochmals Fried. Hitschmann: Ueber die Prinzipien der Blindenpädagogik. In: Der Blindenfreund 20 (1900), S. 10-13.

Online-Version: https://archive.org/details/derblindenfreund1920unse/page/10/mode/2up

Nochmals Fried. Hitschmann: Ueber die Prinzipien der Blindenpädagogik. (Schluss.)

1)

H. weist dann nach, was kein Blindenlehrer bestreitet, dass der Tastsinn, selbst bei sorgfältigster Pflege, nicht dasselbe zu leisten vermag, wie das Auge. Würde er daraus den Schluss ziehen, dass deshalb die Anschauungen der Blinden von realen Dingen und damit auch ihre Vorstellung von denselben der Qualität nach mangelhaft und unvollkommen und der Quantität nach beschränkt sein müssen, so würden wir ihm in gewissem Sinne Recht geben können und nur noch mit ihm darüber zu verhandeln haben, wie gross das wirkliche Mass der Mangelhaftigkeit und Beschränktheit ist. H. bestreitet aber den Wert der von den Blinden gewonnenen sinnlichen Anschauungen und behauptet, dass es noch ein anderes, besseres Mittel zur Ausbildung des Blinden gebe, welches in der eigentümlichen Beanlagung des Blinden begründet liege und für den Sehenden nicht vorhanden sei. H. will an anderer Stelle über den wesentlichen Unterschied zwischen der Beanlagung des Blinden und des Sehenden ausführlich gesprochen haben, nennt diese andere Stelle aber nicht. Von den Herren Kollegen am israelitischen Blindeninstitut auf der hohen Warte in Wien habe ich erfahren, dass H. noch mehrere Arbeiten geschrieben und veröffentlicht hat, habe von denselben auch das Versprechen erhalten, dass mir eine Zusammenstellung dieser Arbeiten nebst Angabe, wo dieselben veröffentlicht worden sind, zugehen soll. Ich erlaube mir, die Herren Kollegen an dieses Versprechen zu erinnern, damit die Mitteilung bald im „Blindenfreund“ bekannt gemacht werden kann. In der vorliegenden Schrift sagt H. über diese besonderen Bildungsmittel nur: „Der Blinde denkt äusserst selten in Bildern und auch in solchen nicht, welche ihm die Erfahrungen des Tastsinnes an die Hand geben könnten, sondern er bedient sich fast immer eigenartiger Surrogatvorstellungen, die so unanschaulich sind, dass sie in dieser Hinsicht an die abstrahierten Begriffe der Sehenden erinnern.“

Ich bitte alle selbst blinden Blindenpädagogen und Blindenfreunde, diese Behauptung H.‘s zu prüfen und uns ihre Ansichten und Selbstbeobachtungen mitzuteilen. Wir Sehenden müssen versuchen, uns diesen Satz, so gut es geht, verständlich zu machen. Ich habe drei Auslegnngen gefunden, die ich hiermit darbiete. H. giebt zu, dass der Blinde ebenso wie der Sehende das Vermögen besitzt, sich einen entfernten Gegenstand vorzustellen. Wer dieses Vermögen hat, hat auch das andere, Begriffe bilden zu können. Ich kann mir bestimmte Päume, bestimmte Tiere vorstellen; streife ich von diesen Vorstellungen die nicht gemeinsamen Merkmale ab, so erhalte ich den Begriff Baum oder Tier. Ist die Anschauung des Blinden von den bestimmten Bäumen oder Tieren eine unvollkommenere als die des Sehenden, wie es wohl immer der Fall sein wird, so hat er auch weniger Merkmale abzustreifen, um zum Begriff zu gelangen. Der Begriff will nicht Ersatz sein für die Einzelvorstellung, will nicht ein abgeblasstes Bild der wirklichen Anschauung sein, sondern nur eine im Geiste vollzogene Zusammenfassung aller — mangelhaften oder vollkommenen — Einzelvorstellungen, bei welcher die Einzelbilder aller Besonderheiten und Eigentümlichkeiten entkleidet sind. Wenn H. nun sagt: „Der naive Blinde nimmt die Surrogatvorstellungen gleichsam in gutem Glauben, für treue Abbilder der Dinge selbst und bestreitet wohl gar die Thatsache, dass sie blosse Surrogate sind“, meint er dann nicht doch begriffliche Vorstellungen, welche der Blinde ebenso wie der Sehende auf analytischem Wege erwirbt, die bei ihm aber, wenn ich mich so ausdrücken darf, magerer und dürftiger ausfallen werden, da ihm die Wahrnehmungen fehlen, welche das Auge vermittelt?

H. berührt in seinen Ausführungen noch einen anderen Punkt, der über das, was er mit seinen „Surrogatvorstellungen“ meint, Aufschluss geben könnte. Er weist darauf hin dass der Tastsinn bei allen ganz grossen und bei allen ganz kleinen Dingen den Dienst versagt, und dass dann der Blinde von dem sehenden Blindenlehrer gezwungen wird, sich auf synthetischem Wege eine Vorstellung zu verschaffen, von der aber niemand behaupten kann, dass sie der Wirklichkeit entspreche. Er verwirft diesen Zwang, verwirft den Gebrauch von verkleinernden und vergrössernden Modellen und fordert, dass man sich mit Surrogatvorstellungen begnüge. Wenn er sagt: „Mit dem Worte „Dorf, Stadt, Wiese, Wald etc.“, durch deren blosses Aussprechen dem Sehenden sogleich ein scharf umgrenzter Eindruck des Lichtsinns in die Erinnerung tritt, verbindet der Blinde, was die Ausdehnung betrifft, gar keine, und auch in jeder andern Hinsicht eine vollkommen unbestimmte, unanschauliche oder, wenn man will, unantastliche Vorstellung“, so verrät er, dass er ein Blinder ist und die Grenzen des Vorstellungsvermögens der Sehenden nicht kennt. Dieser kann sich wohl ein bestimmtes Dorf vorstellen, indem er wie mit dem leiblichen so mit dem geistigen Auge von Hof zu Hof, von Haus zu Haus wandert, denn ein Blick genügt nicht, um das ganze Dorf aufzufassen oder zu reproduzieren; sobald er jedoch den Begriff „Dorf“ denken will, ist er ebenso wie der Blinde auf eine „vollkommen unanschauliche Vorstellung“ angewiesen. Beide werden bei der Vorstellung eines Dorfes weniger an die sichtbaren Wohnhäuser, Ställe und Scheunen denken, als an die Gemeinschaft von Familien, die erst das Dorf zum Dorfe macht. Meint H. mit seinen Surrogatvorstellungen vielleicht solche auf synthetischem Wege gewonnenen Vorstellungen, welche mehr das Wesen des Ganzen als die greif- und sichtbaren Einzelgegenstände reproduzieren?

Drittens gedenke ich noch des Verfahrens, sich durch Vergleiche Vorstellungen zu schaffen. Spricht man mit Blinden beispielsweise von einem hohen Fabrikschornsteine, den sie in seiner Totalität niemals mit den Händen erfassen können, so genügt es, wenn man ihn mit einem Lampenzylinder vergleicht, den der Blinde in die Hand nehmen und mit dem er Versuche machen kann. Da H. dem Blinden, auch dem in dieser Hinsicht begabtesten, nicht „räumliche Phantasie genug zutraut, bei der hundertmal verkleinerten Darstellung eines Hauses oder der zehnmal vergrössernden eines Insekts die Rückübersetzung in die wirklichen Verhältnisse zu bewerkstelligen“, so wäre es möglich, dass er mit seinen „Surrogatvorstellungen“ diese durch Vergleichung gewonnenen Vorstellungen meint.

Ich habe diese drei Arten, wie man zu Vorstellungen gelangen kann, ohne durch die Sinne eine vollkommen genaue Anschauung erhalten zu haben, besonders erwähnt, weil ich von denselben in meinem Unterricht bei Blinden da Gebrauch gemacht habe, wo mich der Tastsinn der Schüler im Stiche liess. Es würde mich freuen, wenn Jemand noch mehr von diesen Hilfswegen angeben und auch feststellen könnte, was H. mit seinen „Surrogatvorstellungen“ gemeint hat. Um des Anschauungsunterrichtes willen hielt ich es für meine Pflicht, auf die Arbeit Hitschmann’s noch einmal zurückzukommen, einmal weil das darin behandelte Gebiet der sinnlichen Anschauungen seitens der Blinden noch weitere Klärung und Bearbeitung verträgt, zum anderen, weil der von H. erhobene Vorwurf gegen die sehenden Blindenlehrer uns nötigt nachzuforschen, ob und wie weit derselbe berechtigt ist; ganz unberechtigt scheint er mir nicht zu sein.

Brandstaeter.

1)
Der in No. 12 vorigen Jahres abgedruckte Anfang dieses Aufsatzes enthält folgende Druckfehler: S. 215 Abschnitt I Zeile 5 v. u. statt „unrichtig“ lies „nebensächlich“, S. 215 Abschnitt II letzte Zeile statt „wenden“ lies „werden“, S. 216 Abschnitt I Zeile 3 v. u. statt „grössere“ lies „äussere“.
august_brandstaeter_-_rezension_nochmals_fried._hitschmann_ueber_die_prinzipien_der_blindenpaedagogik.txt · Zuletzt geändert: 2020/03/16 20:37 von Daniel Schönfeld

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