Friedrich Hitschmann

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Hitschmann, Friedrich: Das Glück. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung – Organ für hauswirtschaftliche Interessen, Nr. 31, S.1. Wien, 30. Juli 1893.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=273&size=45

Das Glück.

Eine philosophische Plauderei

„Glück! Was ist Glück? Wer weiß es mir zu nennen?„ Diese inhaltschwere Frage ist vor uns nach Halm unzähligemale in Scherz und Ernst, in Vers und Prosa aufgeworfen und noch niemals zur Befriedigung aller beantwortet worden. Auch ich maße mir nicht an, eine allgemein giltige Lösung gefunden zu haben, und wenn ich das Thema überhaupt behandle, so geschieht es hauptsächlich, um darzulegen, wie verschiedene Ansichten in den verschiedenen Entwicklungsepochen der Menschheit über diesen interessanten Gegenstand verbreitet waren. Meine eigene Auffassung beansprucht lediglich individuelle Geltung und wird wohl nur von denjenigen gebilligt und getheilt werden, welche infolge einer der meinen verwandten Gefühlsdisposition ohnehin bereits zu ähnlichen Resultaten gelangt sein dürften.

Das niedrigste Glücksideal ist ohne Zweifel dasjenige eines rein physischen Wohlbehagens, und dieses finden wir denn auch bei den culturell am wenigsten entwickelten Völkerschaften, wie auch bei den sittlich und geistig am niedrigsten stehenden Individuen unserer eigenen Gesellschaft. Die meisten Wilden denken sich das Paradies, den Inbegriff aller Glückseligkeit, als einen Ort, wo unablässig gegessen und getrunken wird; gewisse rohe Stämme halten reichlichen Tabakgenuss für einen wesentlichen Theil der himmlischen Freuden, und auch die Walhalla der alten Germanen mit ihren unaufhörlichen Kämpfen und von selbst heilenden Wunden erhebt sich nicht viel über dieses Niveau. Bedeutsamer schon ist das orientalische Ideal, welches darauf beruht, dass der Körper völlig unter die Herrschaft des Geistes gebeugt wird, eine Auffassung, die in den fabelhaften Leistungen der indischen Fakire und Büßer einen freilich oft genug abenteuerlich verzerrten Ausdruck findet. Auf solche Anregung ist es wohl auch zurückzuführen, wenn Sokrates das höchste Glück darin erblickt, dass der Mensch immer Gott ähnlicher, d. h. in seiner Sprache immer bedürfnisloser werde. Diogenes, der in einer Tonne wohnte, sich weder Bart noch Haar scheren ließ und seinen Holzbecher als Luxusgegenstand wegwarf, weil man das Ouellwasser ja auch mit der hohlen Hand schöpfen könne, hat mir stets den Eindruck gemacht, als betrachtete ich die Caricatur eines Meisterwerkes. Wie in den angeführten Beispielen, finden wir überall, wo ernstes Denken überhaupt schon begonnen hat, einen genauen Parallelismus zwischen dem Glücksideal und den sittlichen Vorschriften für die Handlungen der Menschen. Die Stoiker, welche Stählung von Geist und Körper als höchstes Lebensziel betrachteten, und die Epikuräer, denen maßvoll verfeinerter Lebensgenuss als der Weisheit letzter Schluss erschien, stimmen hierin miteinander überein, und selbst der asketische Mönch des Mittelalters, der sein Fleisch durch Fasten und Geißelhiebe kasteite, that es nur, um auf solche Weise der Freuden des Jenseits oder doch der Wonnen eines ekstasisch-visionären Zustandes theilhaft zu werden. Wo dieser Zusammenhang sich lockert, da handelt es sich um eine Periode ungesunder Hypercultur, wie etwa diejenige, welche dem Ausbruche der großen französischen Revolution vorhergieng. In solchen Zeiten sind die Menschen jeder tieferen Empfindung unfähig; sie behelfen sich mit dem Vergnügen, dem schwachen Surrogat des Glückes, und an die Stelle der Moral tritt ein Gewebe nüchterner Klugheitsregeln, die keine weitere Aufgabe haben, als anzugeben, in welcher Weise die große Citrone, Leben genannt, am erfolgreichsten ausgepresst werden könne. Ein derartiges System ruft bei den Genießenden kalte Selbstsucht und schnöde Blasiertheit und bei den vom Geschicke minder günstig Bedachten Neid und Verbitterung hervor, und jede tiefer angelegte Natur muss sich daher gegen dasselbe in sittlicher Entrüstung auflehnen. In der That zeigt sich auch in Frankreich bald die Reaction, und zwar verkörpert in der glänzenden Gestalt Rousseaus, der ein neues, für die nächste Folgezeit maßgebendes Glücksideal aufstellte. Das Princip, von dem er ausgeht, bildet der vielcitierte Satz, mit dem er seinen „Emil“ einleitet: „Alles geht gut aus den Händen des Schöpfers hervor, und alles wird schlecht unter den Händen der Menschen.„ Dementsprechend kann nach Rousseaus Meinung das Glück aller nur dadurch wahrhaft und dauernd begründet werden, dass man allenthalben auf den ursprünglichen Zustand der Dinge zurückgreift, dass man auf alle Art von Luxus Verzicht leistet und in jedem Punkte einfach, anspruchslos, mit einem Worte natürlich wird. Wie unwahr die Schäferwelt jener Tage gewesen, deren Hirten, während sie ihre Lämmer weideten, zugleich mit schönheitstrunkenen Sinnen die Reize der Natur genossen oder gar beim Klange der Schalmei gezierte Liebeslieder zum Preise ihrer Herzensdame dichteten, das musste sich dem gesunden Menschenverstande bald genug aufdrängen. Aber es dürfte wohl als eine Nachwirkung jener Anschauungen zu betrachten sein, wenn man noch viele Jahrzehnte später ziemlich allgemein einer schwärmerischen Sentimentalität huldigte, welche den Reichen als einen verdrießlichen, von Sorgen um seinen Besitz gequälten, von Ehrgeiz, Genusssucht und anderen Leidenschaften innerlich aufgeriebenen Menschen auffasste und ihm den in seiner Dürftigkeit sich bescheidenden, mit Gott und der Welt zufriedenen und darum beneidenswerten Armen gegenüberstellt. Die Wissenschaft hat dieses schöne Märchen, wie so viele andere, mit unbarmherziger Hand zerstört. Sie hat ziffermäßig dargethan, wie die Überbürdung mit Arbeit, unzureichende Ernährung und Bekleidung und physisches Elend jeder Art dazu beitragen, Spitäler und Zuchthäuser zu füllen, und die moderne, die so genannte „Milieu-Poesie“ hat es sich angelegen sein lassen, die Resultate der diesbezüglichen Forschungen durch anschauliche Exemplificierung auch weiteren Kreisen bekanntzumachen. Indessen sind aus der Thatsache, dass die äußere Umgebung in prägnantem Sinne des Wortes für die gesammte Entwicklung des Menschen, also auch für sein Glücksgefühl entscheidend ist, die entgegengesetztesten Folgerungen gezogen worden. Die einen, ich will sie der Kürze halber schlechthin als Optimisten bezeichnen, argumentieren ungefähr folgendermaßen: Das Innenleben des Menschen hängt von seiner äußeren Umgebung ab und wird sich daher um so günstiger gestalten, je günstiger diese Umgebung selbst gestaltet wird. Nun sind aber all die Wissenschaften und technischen Künste, welche sich die immer leichtere Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse zur Aufgabe gemacht haben, in stetem Fortschritte begriffen, und so ist man berechtigt, von der Zukunft eine unaufhörliche Steigerung der menschlichen Glückseligkeit zu erwarten. Lebt nicht heutzutage der einfache Bürgersmann besser als seinerzeit der Adelige des Mittelalters? Erhält heute nicht das Kind des Taglöhners eine Ausbildung, wie sie in früheren Jahrhunderten kaum den Söhnen der bevorzugten Stände zutheil geworden? Ist nicht die Leichtigkeit, Reisen zu machen, Nachrichten zu übersenden, Bücher zu lesen rc. in unserer Zeit viel größer als in irgend einer anderen Epoche? Und in all diesen Dingen wird uns das Jahr so und so viel, sagen wir mit Bellamy das Jahr 2000, noch um vieles überlegen sein. Gut, antworten die Pessimisten, wir leugnen diesen Fortschritt der Gegenwart gegenüber der Vergangenheit keineswegs, aber er beweist gerade das Gegentheil von dem, was ihr damit erhärten wollt, denn nach so tiefgreifenden, bedeutsamen Umgestaltungen der äußeren Verhältnisse, wie unser Jahrhundert sie erfahren hat, müsste man voraussetzen, dass die ganze Menschheit sich nun glücklich oder leidlich zufrieden fühle. Nun seht euch doch einmal um, wo ihr diesem Glücke, dieser Zufriedenheit in unserer trostlosen Welt begegnet; ihr werdet sie ganz vergebens suchen, und es ist leicht, zu zeigen, warum dem so sein muss. Es liegt nämlich in der Natur des Menschen begründet, dass er sich gegen eine Beschwerde, an die er gewöhnt ist und die ihm infolge dessen als eine unabänderliche Nothwendigkeit erscheint, allmählich völlig abstumpft, wie er ja auch für einen Genuss, der ihm durch stete Wiederholung alltäglich geworden ist, nur geringe Empfänglichkeit bewahrt. Dem Bedürfnisse unserer Vorfahren genügte die Beförderung durch die Post vollkommen, obwohl sie uns unerträglich langsam scheinen würde, und so wenig wir uns heute beklagen, dass es uns versagt ist, zu fliegen, so natürlich wird ein solches Verlangen die Kinder einer fortgeschritteneren Zeit bedünken, in der etwa eine Flugmaschine oder der lenkbare Luftballon im Gebrauche sein wird.

So wachsen unsere Bedürfnisse stets in gleichem Maße als die Mittel zu ihrer Befriedigung, und kein technischer Fortschritt, wie groß er auch sei, vermag darum etwas zur Lösung des Problems beizutragen, wie die Summe des in der Welt vorhandenen Glückes erhöht werden könne. Ich bin, wie ich schon eingangs erklärte, nicht so anmaßend, eine Streitfrage von so unermesslicher Tragweite mit wenigen Worten entscheiden zu wollen, vielmehr bitte ich, die folgende Schlussbetrachtung lediglich als den Ausdruck meiner subjektiven Überzeugung anzusehen, die sich allerdings weit besser begründen ließe, wenn der Raum mir größere Ausführlichkeit gestattete. Die Relativität in den Ursachen aller Glücksempfindung muss ich freilich zugeben; die letzteren scheinen mir aber wesentlich von zwei Momenten abzuhängen: von der geistigen und körperlichen Beanlagung des einzelnen und von dem Vergleiche, welchen dieser einzelne zwischen seinem Schicksale und dem seiner Mitmenschen anstellt. Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so scheint mir die Hoffnung nicht allzu kühn, es werde der Medicin im Laufe der Zeit in immer höherem Maße gelingen, diejenigen krankhaften Zustände des Organismus, in deren Gefolge sich melancholisches oder galliges Wesen einzustellen pflegt, wie bei gewissen Erkrankungen der Leber oder des Unterleibes, erfolgreich zu bekämpfen. Ebenso kann die Pädagogik, der ja auch die Erwachsenen durchaus nicht unzugänglich sind, durch directe Beeinflussung der seelischen Ausbildung dahin wirken, dass möglichst viele Naturen günstig disponiert, d. h. lebensfroh und glücksfähig gemacht werden. Der zweiten Quelle alles Unglückes, dem Neide, könnte zwar nicht durch reichlichere Production, wohl aber durch gleichmäßigere Vertheilung der materiellen Güter abgeholfen werden; und in welcher Weise das am zweckmäßigsten geschehen könne, darüber dürfen wir von der jungen, rasch erblühenden Wissenschaft der Nationalökonomie wohl noch manchen dankenswerten Aufschluss erwarten. Ich hoffe, man hat meine letzte Äußerung nicht so sehr missverstanden, um mich den Socialisten beizuzählen; das einzige, was ich mit diesen gemein habe, ist die freudige Zuversicht, dass die Entwicklung der Menschheit sich nicht in trostlosem Kreislaufe bewegt, sondern unentwegt aufwärts führt zu den sonnigen Höhen des Glückes.

Friedrich Hitschmann.

friedrich_hitschmann_-_das_glueck.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/23 10:07 von Daniel Schönfeld

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