Friedrich Hitschmann

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Hitschmann, Friedrich: Die Bescherung. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 21, S.187-188. Wien, 21. Mai 1893.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=191&size=45

Die Bescherung.

An einem schönen Frühlingstage tummelten sich die Kinder aus der großen Wiese vor dem Dorfe nach Herzenslust. Die einen haschten Schmetterlinge, die anderen pflückten Blumen oder sammelten Kräuter für die Küche und den Arzneischrein, wie die Eltern es sie gelehrt hatten. Sieh, da kam des Weges ein hochgewachsenes Mädchen, das war gar wunderbar anzuschauen, es hatte Flügel an den Schultern und trug am Arm ein kleines, künstlich verziertes Körbchen, dergleichen man im Dorfe nie gesehen. Aus dem Körbchen nahm sie, als sie nahe genug herangekomnen war, eine Fülle des reizendsten Spielzeugs, so viel, dass man gar nicht begreifen mochte, wie das alles in dem kleinen Ding Platz gefunden, rief die Kinder zu sich heran und beschenkte sie, die Knaben und Mädchen, die Großen und Kleinen, jedes nach seiner Weise. Einem munteren Bübchen gab sie eine Schachtel mit Bleisoldaten, die prächtig in der Sonne funkelten, und unterwies es, wie man sie in Reihen ordne, voran der General in goldbetreßter Uniform und hinter ihm der Hornist mit der hellblinkenden Trompete. Ein anderes Kind erhielt ein ganzes Gehöft mit Haus und Bäumen, Kühen und Schafen und Bauer und Bäuerin noch obendrein. Ja, einem kleinen Mädchen, das sich zutraulich an die Knie der Fremden schmiegte, schenkte sie gar eine Puppe mit seidenem Kleidchen und einem Kopf aus Porzellan, die „Papa„ und „Mama“ sagen konnte wie ein wirkliches Kind. Als die Gaben vertheilt waren, wandte sich die holde Spenderin und gieng oder schwebte vielmehr von dannen, während die Kinder einander jubelnd das empfangene Spielzeug wiesen und sich anschickten, es zu gebrauchen.

In diesem Augenblicke kam ein altes Weib, des Weges gehumpelt, es stützte sich beim Gehen auf einen Stock und war so hässlich, dass die Kleinen bei ihrem Anblick scheu zur Seite wichen. Sie jedoch näherte sich ihnen, besah die Gaben, welche sie erhalten hatten, und begann mit grämlicher Stimme dies und das daran auszusetzen. An den Soldaten tadelte sie, dass sie sich nicht bewegen und kein Kommando ausführen könnten, an der Puppe, dass sie immer und immer nur dieselben Worte zu plappern vermöge, und der Eigenthümer des Gehöftes fragte sie spöttisch, ob denn das Vieh bei den Menschen im Hause wohnen solle, da man vergessen habe, ihm einen Stall zu errichten. In dieser Weise sprach die Alte fort, und bald war die Freude der Kleinen ganz und gar verflogen. Die einen warfen unmuthig die Geschenke weg, die ihnen eben noch so viel Vergnügen bereitet hatten, die anderen, minder ungestümen, trugen sie zwar nach Hause, bargen sie aber im Schrein, um sie sobald nicht wieder hervorzusuchen.

Einige Zeit nachher kam das schöne Mädchen wieder, und als sie keine ihrer Gaben mehr in den Händen der spielenden Kinder sah, lächelte sie nur traurig und sprach vor sich hin: Ich merke wohl, dass die Muhme auch diesmal meinen Spuren gefolgt ist. Dennoch öffnete sie abermals ihr Körbchen und vertheilte die herrlichsten Spielsachen, denn die Lust am Geben lag nun einmal in ihrer Natur. Die Kleinen nahmen die neue Bescherung mit Zweifel und Misstrauen auf, und als auch die Alte bald nachher wiederum des Weges kam, eilten die meisten ihr entgegen, um von ihr zu erfahren, ob sie diesmal wertvollere Geschenke erhalten hätten. Wieder betrachtete die Muhme die Spenden mit prüfendem Blick, wieder deckte sie die Mängel derselben unbarmherzig auf, und wieder schlichen die enttäuschten Kinder mit gesenktem Kopf traurig von dannen. Einige unter ihnen freilich spielten ruhig mit ihren Sachen weiter und erfreuten sich ihrer, ohne auf die hämischen Reden der Alten zu achten, und ein lustiger Junge, der glückliche Besitzer eines Steckenpferdes, an dem sie getadelt hatte, dass es nicht wiehern noch ausschlagen könne und nicht einmal die Gestalt eines Rosses habe, rief ihr sogar übermüthig zu: „Ich weiß schon, warum dir nichts gefällt; du bist dem schönen Fräulein neidisch, weil du nicht auch so hübsche Dinge machen kannst als sie.“

Wie ihr über das verschiedene Verhalten der Kleinen urtheilen wollt, liebe Leser, muss euch überlassen bleiben: denn, um es kurz zu sagen, die Kinder, von denen ich berichte, seid ihr selber und die beiden ungleichen Verwandten in meinem Märlein heißen — Poesie und Kritik.

Friedrich Hitschmann.

friedrich_hitschmann_-_die_bescherung.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/20 18:53 von Daniel Schönfeld

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