Friedrich Hitschmann

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Hitschmann, Friedrich: Liebe und Freundschaft. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 50, S.443-444. Wien, 11. Dezember 1892.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1892&page=439&size=45

Liebe und Freundschaft.

Erschrecken Sie nicht, meine sehr geehrten Leser und Leserinnen, wenn ich Sie einlade, mit mir zu philosophieren. Denn ich muthe Ihnen keineswegs zu, mir auf die nebelhaften Höhen jener Metaphysik zu folgen, von der Goethe sagt, man müsse sich ihr gegenüber Mühe geben, tiefsinnig zu erfassen, was in des Menschen Hirn nicht passt. Nein, wir wollen stets sorglich darauf bedacht bleiben, festen Boden unter den Füßen zu behalten, und unsere Aufmerksamkeit nur Problemen von eminent praktischem Interesse zuwenden, Problemen, von deren verschiedenartiger Lösung es abhängt, in welcher Weise man zu den mannigfachen Vorkommnissen des Lebens Stellung nimmt oder wie man die Handlungsweise von Freunden und Bekannten in analogen Fällen beurtheilt. Das interessanteste dieser Probleme ist unstreitig die Liebe. Aber in das Wesen dieses wunderbarsten aller Geheimnisse einzudringen, bleibt den vereinten Anstrengungen unserer erlesensten Denker versagt und vermöchte am wenigsten der bescheidenen Feder gelingen, welche diese Zeilen zu Papier bringt. Ich will daher die schwere, in Anbetracht des lockenden Gegenstandes doppelt schwere Kunst der Selbstbeschränkung üben, und aus der Überfülle anziehenden Materials nur eine einzige Frage herausgreifen, nämlich die nach den charakteristischen Unterschieden zwischen Liebe und Freundschaft. Sicher haben viele unter Ihnen bereits Veranlassung gehabt, diese beiden Empfindungen, die oft so entscheidend in unser Leben eingreifen, miteinander in Parallele zu bringen, und es sollte mich freuen, wenn die Ansichten, welche ich hierüber vorzubringen gedenke, in recht vielen Punkten mit den Ergebnissen Ihres eigenen Nachdenkens zusammenstimmten.

Wir wollen von der Thatsache ausgehen, dass die Liebe Mann und Weib verbindet, und daran sogleich die Frage schließen, ob auch die Freundschaft von den Besonderheiten der Geschlechter beeinflusst wird. Der Mann vermag dem Manne ein treuer Freund zu sein — so lehrt wenigstens die Geschichte, denn wir besitzen aus alter und neuerer Zeit so viele und so allbekannte Beispiele edelmüthiger Männerfreundschaft, dass es überflüssig scheint, auf einzelne derselben besonders hinzuweisen. In unseren materialistischen Tagen freilich möchte man an dieser Ansicht schier irre werden; denn das, was man unter Männern heute Freundschaft zu nennen pflegt, ist in der Regel nicht viel mehr als bloße Kameradschaft, d. h. eine Verbindung, die bloß auf gemeinsamen Interessen beruht, mögen diese Interessen nun grob sinnlicher Natur sein, wie das bei den Saufbrüdern der Fall ist, oder sich auf höhere geistige Güter beziehen, wie bei politischen Parteigenossen, welche durch Bereinigung ihre Zwecke leichter zu erreichen imstande sind. Indessen mag der Optimist sich immerhin mit dem Gedanken trösten, dass auf unser Zeitalter allgemeiner Verselbstlichung wieder eine Epoche ideellen Aufschwunges folgen werde, und jedenfalls ist die psychologische Möglichkeit der Freundschaft unter Männern durch die Erfahrung festgestellt. Anders dagegen liegt die Sache für das weibliche Geschlecht.

Freilich hört man heute wie jederzeit das Wort Freundschaft oft genug von den Lippen der Frauen klingen. Das Mädchen pflegt die Genossin, mit der sie auf der gleichen Schulbank gesessen und gelegentlich wohl auch ein Stündchen verplaudert hat, bei der Begrüßung wie beim Abschied zärtlich zu küssen und nennt sie mit Emphase ihre Freundin; und auch die Frau, besonders die junge, pflegt einer Nachbarin gegenüber, mit der sie die kleinen Angelegenheiten des Haushaltes oder der Kinderpflege zu besprechen gewöhnt ist, mit diesem Ehrentitel nicht zu kargen. Wenn es jedoch im Wesen der Freundschaft liegt, dass man am Wohl des Anderen selbstvergessenen Antheil nimmt und auch vor schweren Opfern nicht zurückschreckt, wo es gilt, dasselbe zu fördern, dann ist in solchen Verhältnissen begreiflicherweise nicht eben viel von dieser erhabenen Empfindung anzutreffen. Diese Erfahrungsthatsache wird übrigens auch durch das Raisonnement der Philosophen bestätigt, und Schopenhauer sagte in seiner göttlichen Grobheit einmal geradezu, die Weiber könnten überhaupt keine Freundschaft für einander fühlen, weil sie alle das nämliche Gewerbe trieben, nämlich dies, den Männern zu gefallen, und also geborene Nebenbuhlerinnen wären, eine Behauptung, der ich mich anschließen muss, wenn ich auch gegen die Art, wie er sie motiviert, manches einzuwenden hätte.

Am interessantesten jedoch ist die Frage nach der Freundschaft zwischen Mann und Weib, dem, was man platonische Liebe zu nennen gewohnt ist. Nebenbei bemerkt, sollte man endlich aufhören, an diesem unglücklich gewählten Ausdrucke festzuhalten, denn jene Zucht, wohl im Darwinischen Sinne, wie sie Plato in seinem Idealstaate einzuführen empfiehlt, bildet zu nichts in der Welt einen schärferen Contrast, als gerade zu der sogenannten platonischen Liebe. Die Freundschaft zwischen Frau und Mann ist schon vielfach durchgesprochen und, wie das in solchen Fällen wohl auch sonst zu gehen pflegt, dadurch nur noch räthselhafter geworden.
Die einen negieren sie von vornherein und behaupten, da wo man sie zu finden glaube, habe man es mit Selbsttäuschung, wenn nicht gar mit bloßer Heuchelei zu thun. Zu diesen gehört u. a. auch Ernst Eckstein, der seine Ansicht in dem neuesten Roman „Dombrowsky„ zwar nicht ausdrücklich ausspricht, aber zwischen den Zeilen deutlich genug erkennen lässt.
Andere wieder geben das Bestehen einer solchen Freundschaft zwar zu, bekämpfen sie aber als eine widernatürliche Regung. Ich nenne als ihren Vertreter nur Vogumil Goltz, der in seiner „Naturgeschichte der Frau“ den Ausspruch thut: „Der platonische Damenfreund ist ein unmännliches Ding.„ Diejenigen endlich, welche die hohe, reine Minne in begeisterten Versen erheben und das bedeutsame Dichterwort: „Wenn ich dich liebe, was geht's dich an“ auf ihre Fahnen geschrieben haben, sind zu zahlreich und zu bekannt, als dass es auch hier besonderer Beispiele bedürfte. Nur als Curiosum will ich anführen, dass der schwärmerische Leo Tolstoi mit seinem abstrusen Ideal einer keuschen Ehe gleichfalls dieser Gruppe beizuzählen ist. Man wird mir verzeihen, wenn ich es nicht wage, aus diesem Gewirre widerstreitender Ansichten mir eine eigene positive Überzeugung zu bilden, sondern mich damit begnüge, auf einige wenige Punkte hinzuweisen, die mir völlig gesichert scheinen. Es ist gewiss, dass die Liebe, die sich, wie man weiß, in den mannigfachsten Formen äußert, die bald als brutale Begierde, bald als ästhetischer Genuss, bald als schwärmerische Anbetung, bald als rohe Herrschsucht auftritt, auch die Maske der Freundschaft zu bergen vermag, und dass also selbst das sorgfältigste Studium der Symptome zu einer irrigen Diagnose führen kann. Es scheint mir ferner ausgemacht, dass man bei der Beurtheilung des einzelnen Falles auf Alter, Temperament, Bildungsgrad und hundert andere zufällige Umstände Rücksicht zu nehmen hat, deren jeder einen entscheidenden Einfluss ausüben kann und die in ihrer Totalwirkung schwer zu überblicken sein dürften. Endlich halte ich es für unzweifelhaft, dass zwar die Freundschaft des Jünglings für das Mädchen, wenn sie nicht schon von vornherein verkappte Liebe ist, leicht erotischen Charakter annimmt, weshalb es auch hier gefährlich ist, mit dem Feuer zu spielen. Dass aber auch andererseits die Liebe, wenn die Zeit leidenschaftlichen Aufflammens vorüber ist, wie etwa bei einem alternden Ehepaare, sich allmählich in Freundschaft verwandelt, und dieses stete Hin- und Herschwanken über die unsichtbaren oder doch undefinierbaren Grenzen, welche zwischen Liebe und Freundschaft gezogen sind, gibt mir Veranlassung, auf die letzte Frage einzugehen, die ich hier besprechen möchte, nämlich auf das Wertverhältnis, das zwischen beiden Empfindungen besteht. Man hat die Liebe wohl mit glühender Lava und die Freundschaft mit den ausgebrannten Schlacken derselben verglichen. Ich halte diese Auffassung zwar für einseitig und ungerecht, möchte aber das erwähnte Bild gleichwohl nicht preisgeben, da sich bekanntlich auf der erkalteten Oberfläche vulcanischen Erdreiches die üppigste Vegetation zu entfalten pflegt. In Wahrheit ist die kühle, besonnene Freundschaft weit geeigneter, dauerndes Behagen zu schaffen, als die Liebe, welche wie jede Leidenschaft unstäter Natur ist, und auch da, wo sie an ihrem Gegenstände festhält, nicht selten eine mehr verheerende als wohlthätige Wirkung übt. Dem augenblicklichen Glücksbedürfnisse des jugendlichen Herzens freilich, das mit maßlosem Ungestüm darnach verlangt, bald „himmelhoch jauchzend, bald zu Tode betrübt„ von einem Extrem zum anderen zu schwanken, kommt die Liebe mit ihrer Leib und Seele in ihren Grundvesten erschütternden Gewalt weit mehr entgegen, als ihre mildere, klarere, man möchte sagen ältere Schwester, und wenn es erlaubt ist, sich selbst zu citieren, verweise ich in diesem Punkte auf mein Epigramm:

„Und sei an sich die Freundschaft noch
So köstlich in der That;
Stets bleibt sie für die Liebe doch
Ein schwaches Surrogat.“

Friedrich Hitschmann.

friedrich_hitschmann_-_liebe_und_freundschaft.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/18 21:48 von Daniel Schönfeld

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