Friedrich Hitschmann

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Hitschmann, Friedrich: Literarische Frauenbilder. I. Bertha v. Suttner. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 45, S.386-387. Wien, 6. November 1892.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1892&page=382&size=45

Literarische Frauenbilder.

I. Bertha v. Suttner.

Die Frage, ob die Frau berechtigt und befähigt sei, an dem literarischen Leben ihrer Zeit activen Antheil zu nehmen, wird von den verschiedenen Beurtheilern auf das verschiedenste beantwortet. Die einen verweisen das Weib kurzerhand auf Küche und Kinderstube als auf die einzige geeignete Stätte ihrer Wirksamkeit (siehe Schopenhauer), andere, zu denen beispielsweise der bekannte Kulturhistoriker Henne am Rhyn gehört, wollen es der Frau zwar nicht verwehren, sich auch auf dem Gebiet von Kunst und Wissenschaft nach Kräften zu bethätigen, fügen jedoch mit einem mitleidigen Lächeln hinzu, dass dieselbe infolge ihres beschränkten geistigen Horizonts ja doch niemals in der Lage sein würde, mit der Überlegenheit männlicher Talente in erfolgreichen Wettbewerb zu treten. Eine geringe Minorität endlich huldigt der Ansicht Humboldts, dass in der Verschmelzung der Geschlechter, d. h. in der allmählichen Ausgleichung der den beiden Geschlechtern in schroffer Ausprägung anhaftenden Eigenart, die Verwirklichung des höchsten Menschenideals liege, und stimmen daher mit Friedrich Schlegel überein, welcher empfiehlt, dass gerade die Frauen sich die Pflege der Literatur angelegen sein lassen sollten, um so jenen Assimilierungsprocess zu fördern. Ich sehe hier von einer theoretischen Erörterung all dieser Standpunkte ab; statt dessen beabsichtige ich einige der hervorragenden Frauengestalten, an denen der moderne Parnass so reich ist, im Folgenden zu charakterisieren und hoffe auf diese Art auch dazu beizutragen, dass sich der Leser in der Frage, ob oder inwieferne die Schriftstellerei der Frau berechtigt und für die Allgemeinheit von Interesse sei, ein selbständiges Urtheil bilde.

Wenn ich die Reihe dieser Frauengestalten mit Bertha v. Suttner eröffne, so bedarf das wohl keiner besonderen Motivierung. Keine andere Schriftstellerin hat im Laufe der letzten Jahre auch nur annähernd so großes Aufsehen erregt als sie; nicht bloß die Kritik ist unermüdlich, ihr reichen Beifall zu spenden, auch im Publicum wird sie allgemein gerühmt und, was noch mehr sagen will, auch vielfach gelesen. Um zu zeigen, in wie enthusiastischer Weise die öffentliche Meinung ihr huldigt, brauche ich nur daran zu erinnern, dass erst kürzlich kein Geringerer als Spielhagen sie in einem begeisterten Trinkspruch verherrlicht hat. Dieser überschwengliche Beifall ist freilich zum großen Theil auf ihren im höheren Sinn des Wortes sensationellen Roman „Die Waffen nieder“ zurückzuführen, von dem ich in diesem Zusammenhang völlig abzusehen habe. Alle Welt weiß, mit welch edlem Eifer die Präsidentin des Vereines der Friedensfreunde dem Kriege den Krieg erklärt hat, und jeder menschlich Fühlende ist von der Erhabenheit der Idee durchdrungen, welche sie hier vertritt; die letztere jedoch auf ihre Realisierbarkeit zu prüfen, liegt dem Zweck dieser Skizze fern. Was ihre übrigen Werke betrifft, so bin ich überzeugt, dass die Verfasserin sie selbst nicht überschätzt, sondern sich mit dem stolz-bescheidenen Lobe begnügt, welches eine ihrer Romanfiguren, die Schriftstellerin Maria v. Saltern, für sich in Anspruch nimmt, indem sie sagt, sie schreibe, wie ihr die Feder gewachsen sei, und fühle sich befriedigt, wenn ihre Zeit ihr die Anerkennung zolle, die redlichem Streben gebürt. Da es unmöglich ist, die Fülle der Schriften von Bertha v. Suttner hier im einzelnen zu analysieren, will ich bloß versuchen, die leitenden Grundgedanken der Verfasserin darzulegen und so ein möglichst anschauliches Bild ihrer geistigen Persönlichkeit zu entwerfen, und ich halte mich zu diesem Verfahren um so eher berechtigt, als sie selbst auf den tendenziösen Gehalt ihrer Arbeiten großes Gewicht legt.

Ihr ästhetisches Programm deckt sich in Theorie und Praxis so ziemlich mit den Ausführungen, welche sie durch den Helden ihres Schriftstellerromans Otto Freihain vorbringen lässt. Derselbe huldigt einem gemäßigten Realismus, der auch vor dem Hässlichen nicht zurückschreckt, wo es zu getreuer Wiedergabe der lebendigen Wirklichkeit unerlässlich ist, wenn er es auch nicht, wie unsere Naturalisten thun, geflissentlich aufsucht und hervorkehrt. Übrigens scheint ihm dieser Realismus keineswegs eine eigenartige Geistesrichtung, sondern eine selbstverständliche Bedingung jedes echten Kunstwerkes zu sein, und er erklärt ausdrücklich, dass er es ebenso wenig wagen würde, eines seiner Werke realistisch zu nennen, als er den Muth besäße, demselben das Prädicat „genial“ beizulegen. Von diesem Standpunkte entwirft uns die Verfasserin in dem erwähnten Roman ein lebhaftes Bild unseres literarischen Treibens. Sie schildert voll Humor und doch nicht ohne ernsten Antheil die mannigfachen Fehlgriffe, Irrthümer und Schwierigkeiten, welche von dem Beginn einer schriftstellerischen Laufbahn unzertrennlich sind, sie parodiert mit Glück die stilistischen Unarten eines dilettierenden Blaustrumpfes in Stichproben aus dem fingierten Roman „Die entweihten Ideale“ und lässt eine junge Pseudodichterin, welche hochmüthig erklärt, dass sie keine Prosa schreibe, von einem Spötter mit der Bemerkung abfertigen: „Vortrefflich, dann bedürfen Sie nur noch der kleinen Überwindung, auch keine Verse mehr zu machen.“ Schroff ablehnend aber verhält sich Bertha v. Suttner gegen alle Bestrebungen extremer Natur, und es scheint nur noch bezeichnend, dass der Held, der ein weltstürmerisches Buch „Es muss anders werden“ unter der Feder hat, verrückt wird, ehe er das Werk vollendet.

Von dem gleichen Geiste besonnenen Freisinns ist auch „Doctor Hellmuths Donnerstage“, eine Sammlung von Essays über die verschiedensten philosophischen und literarischen Themen, durchdrungen, ein Werk, das die in den belletristischen Schriften der Verfasserin niedergelegten Ideen in willkommener Weise erläutert und ergänzt. Hier werden wie gelegentlich schon in „Die Waffen nieder“ mit großem Scharfsinn die Widersprüche aufgedeckt, in welche das Gebet und andere religiöse Acte den Gläubigen so leicht verstricken, ohne dass die Verfasserin sich darum geradezu zum Atheismus bekennt; ihr philosophischer Standpunkt ist der modern-naturwissenschaftliche, und der Abschnitt, in dem sie die Firma „Buchner & Comp.“ gegen die Angriffe der Spiritualisten vertheidigt, gehört zu dem Besten des ganzen Werkes. Bon diesem Standpunkte muss sie auch die Relativität aller Moral zugeben, doch hält sie nichtsdestoweniger an der Unverbrüchlichkeit des jeweilig geltenden Sittengesetzes energisch fest und fasst ihre Ansicht in die Worte zusammen: „Wer sich den geltunghabenden Gesetzen widersetzt, ist ein Verbrecher, wer gegen die Regeln der Grammatik verstößt, ist ein Ungebildeter, und wer der herrschenden Moral entgegenwirkt, ist ein unmoralischer Mensch. Damit ist aber durchaus nicht bewiesen, dass Gesetze, Grammatik und Moral unwandelbare Dinge seien.“ Wenn sie auf politischem Gebiet den Principien des Fortschrittes ergeben ist, wie sie die selben etwa durch Graf Ralph in „Eva Siebeck“ oder durch Baron Frank in „Ein schlechter Mensch“ den Conservativen gegenüber so sieghaft vertreten lässt und gleichwohl mit revolutionären Bestrebungen nicht sympathisiert, weil dieselben der natürlichen Norm allmählicher Entwicklung entsprächen, so ist dies bloß eine folgerichtige Anwendung der angeführten Ideen. Mit Beziehung auf die Frauenfrage macht sie diese Anwendung gleichfalls; auch hier ist sie mit vielem nicht einverstanden und schreckt nicht davor zurück, es auszusprechen; in „An der Riviera“, im „Schriflstellerroman“ und in „Ein schlechter Mensch“ geht die Frau ihrem Gatten durch; in „Eva Siebeck“, worin die unleidliche Sucht, eine gute Partie machen zu wollen, scharf gegeißelt wird, zieht sich die Handlung dicht am Abgrund der Blutschande hin, und selbst in der harmlosen Novelle „Enthüllungen“ aus der Sammlung „Erzählte Lustspiele“ handelt es sich um eine versuchte Verführung und um eine noch im letzten Moment verhinderte Convenienzehe, aus der nur Unheil hätte entspringen können. Ein Zustand, das steht wiederholt zwischen den Zeilen zu lesen, der so krankhafte Erscheinungen hervorruft, ist nichts weniger als wünschenswert und wird sich auf die Dauer auch nicht behaupten. Aber im wesentlichen steht Bertha v. Suttner doch auch hier auf dem Standpunkt der schon erwähnten Maria v. Saltern, die einmal die Ansicht ausspricht, es solle freilich vieles anders werden, aber solange es nicht anders sei, müsse man sich eben darein finden und die Achtung der Gesellschaft nicht durch trotzigen Widerstand verscherzen. Ich glaube gezeigt zu haben, dass der Gedankenkern, welcher den verschiedenen Schriften der Verfasserin zugrunde liegt, ein durchaus einheitlich und consequent durchgearbeitetes System darstellt. Ihr philosophisch geschulter und doch zugleich für die mannigfach detaillierten Interessen des Alltagslebens empfänglicher Geist versteht es, mit ebensoviel Muth als Besonnenheit die ihm als unerschütterlich geltenden Grundsätze auf den verschiedensten Gebieten geltend zu machen und dichterisch zu exemplificieren. Man mag mit diesen Grundsätzen einverstanden sein oder sie bekämpfen, kein billig denkender Beurtheiler jedoch wird der Schriftstellerin jene Anerkennung versagen dürfen, welche nach den eingangs citierten treffenden Worten Maria v. Salterns jedem redlich Strebenden gebürt.

Friedrich Hitschmann.

friedrich_hitschmann_-_literarische_frauenbilder_1.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/21 22:05 von Daniel Schönfeld

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