Friedrich Hitschmann

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friedrich_hitschmann_-_ueber_das_wetter [2024/11/19 17:57] – angelegt Daniel Schönfeldfriedrich_hitschmann_-_ueber_das_wetter [2024/11/19 18:00] (aktuell) Daniel Schönfeld
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-===== Über das Wetter.  =====+<blockquote>
  
-==== Eine philosophische Plauderei.  ====+Hitschmann, Friedrich: Über das Wetter. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 16, S.136-137. Wien, 16. April 1893. 
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 +Online-Version: [[https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=140&size=45|https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=140&size=45]] 
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 +====== Über das Wetter. ====== 
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 +===== Eine philosophische Plauderei. =====
  
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 Da jedoch, wie schon Aristoteles gesagt hat, der Mensch ein geselliges Thier ist, so müssen sich auch die seinem Wesen eigenthümlichen Züge am deutlichsten dort beobachten lassen, wo er in Masse auftritt. In dieser Hinsicht ist es sehr bezeichnend, dass Revolutionen, die ja bei tausenden Menschen die höchste Anspannung geistiger und physischer Kraft voraussetzen, fast ausnahmslos bei gutem Wetter stattgefunden haben. Der 14. Juli 1789, an dem bekanntlich die Bastille erstürmt und die gewaltige Umsturzbewegung in Frankreich eingeleitet wurde, war ein schöner Sommertag, und an den berühmten Märztagen des Jahres 1848, die für Wien und Österreich von so entscheidender Bedeutung geworden sind, schien die Sonne hell und freundlich. Auch Heine, der stets zur Hand ist, wo es gilt, die Mittel und Mittelchen aufzuspüren, durch welche der Weltgeist seine blendendsten Effecte erzielt, hat diesen Zusammenhang erkannt, denn in seiner Correspondenz für die „Allgemeine Augsburger Zeitung" vom Jahre 1830 bemerkt er, die Befürchtung der Regierung sei unbegründet, da bei so abscheulichem Wetter der Ausbruch von Unruhen durchaus nicht zu erwarten stünde. Übrigens war Heine selbst und mit ihm die Mehrzahl der Dichter in hohem Maße vom Wetter abhängig, nicht bloß darum, weil das Nervensystem dieser besonders zart organisierten Menschen bereits auf atmosphärische Einflüsse reagiert, die der gewöhnliche Sterbliche gar nicht wahrnimmt, sondern auch und vielleicht noch mehr deshalb, weil der Poet, zumal der lyrische, in den freundlichen Erscheinungen der Natur eine schier unerschöpfliche Liederquelle besitzt. Wer kennt sie nicht die tausende von Frühlingsgedichten, welche alljährlich mit und selbst vor den Schwalben herangeflattert kommen, um sich in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften, kurz in allem einzunisten, was irgend gedruckt und gelesen wird. Und wer kennt nicht die tausend anderen Gedichte, welche das Wetter, wenn nicht zum Gegenstand, so doch zum Ausgangspunkt oder zur Staffage ihrer Darstellung machen, von Lenaus berühmtem Da jedoch, wie schon Aristoteles gesagt hat, der Mensch ein geselliges Thier ist, so müssen sich auch die seinem Wesen eigenthümlichen Züge am deutlichsten dort beobachten lassen, wo er in Masse auftritt. In dieser Hinsicht ist es sehr bezeichnend, dass Revolutionen, die ja bei tausenden Menschen die höchste Anspannung geistiger und physischer Kraft voraussetzen, fast ausnahmslos bei gutem Wetter stattgefunden haben. Der 14. Juli 1789, an dem bekanntlich die Bastille erstürmt und die gewaltige Umsturzbewegung in Frankreich eingeleitet wurde, war ein schöner Sommertag, und an den berühmten Märztagen des Jahres 1848, die für Wien und Österreich von so entscheidender Bedeutung geworden sind, schien die Sonne hell und freundlich. Auch Heine, der stets zur Hand ist, wo es gilt, die Mittel und Mittelchen aufzuspüren, durch welche der Weltgeist seine blendendsten Effecte erzielt, hat diesen Zusammenhang erkannt, denn in seiner Correspondenz für die „Allgemeine Augsburger Zeitung" vom Jahre 1830 bemerkt er, die Befürchtung der Regierung sei unbegründet, da bei so abscheulichem Wetter der Ausbruch von Unruhen durchaus nicht zu erwarten stünde. Übrigens war Heine selbst und mit ihm die Mehrzahl der Dichter in hohem Maße vom Wetter abhängig, nicht bloß darum, weil das Nervensystem dieser besonders zart organisierten Menschen bereits auf atmosphärische Einflüsse reagiert, die der gewöhnliche Sterbliche gar nicht wahrnimmt, sondern auch und vielleicht noch mehr deshalb, weil der Poet, zumal der lyrische, in den freundlichen Erscheinungen der Natur eine schier unerschöpfliche Liederquelle besitzt. Wer kennt sie nicht die tausende von Frühlingsgedichten, welche alljährlich mit und selbst vor den Schwalben herangeflattert kommen, um sich in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften, kurz in allem einzunisten, was irgend gedruckt und gelesen wird. Und wer kennt nicht die tausend anderen Gedichte, welche das Wetter, wenn nicht zum Gegenstand, so doch zum Ausgangspunkt oder zur Staffage ihrer Darstellung machen, von Lenaus berühmtem
  
-//Milde war die Maiennacht, \\+//Milde war die Maiennacht,\\
 Silberwölkchen flogen,// Silberwölkchen flogen,//
  
 oder oder
  
-//Vor Kälte ist die Luft erstarrt, \\+//Vor Kälte ist die Luft erstarrt,\\
 Der Schnee knarrt unter meinen Tritten —// Der Schnee knarrt unter meinen Tritten —//
  
 bis herab zu dem philiströsen bis herab zu dem philiströsen
  
-//Es regnet, \\ +//Es regnet,\\ 
-Gott segnet \\+Gott segnet\\
 Die Erde, die so durstig ist,// Die Erde, die so durstig ist,//
  
 oder dem muthwillig-lasciven Studentenlied oder dem muthwillig-lasciven Studentenlied
  
-//Es regnet und es schneit \\+//Es regnet und es schneit\\
 Und weht ein kühler Wind.// Und weht ein kühler Wind.//
  
 Bisweilen aber, freilich selten genug, begegnen wir auch einem Dichter, der uns ausdrücklich versichert, dass die Gewalt seiner Gefühle ihn über die des Wetters hinaushebe, und etwa triumphierend ausruft: Bisweilen aber, freilich selten genug, begegnen wir auch einem Dichter, der uns ausdrücklich versichert, dass die Gewalt seiner Gefühle ihn über die des Wetters hinaushebe, und etwa triumphierend ausruft:
  
-//Ob es draußen Winter sei, \\ +//Ob es draußen Winter sei,\\ 
-Was bekümmert's mich, \\ +Was bekümmert's mich,\\ 
-In mir, in mir ist es Mai, \\+In mir, in mir ist es Mai,\\
 Denn ich liebe dich.// Denn ich liebe dich.//
  
 Und so sprechen nicht bloß glücklich Liebende, die ja seit alters das unbestrittene Privilegium besitzen, in ihrer Begeisterung über all die gemeinen Einflüsse der prosaischen Wirklichkeit erhaben zu sein, auch Grillparzer spricht sich in seinem ernsten „Decemberlied" in ähnlichem Sinne aus, indem er, die Freuden innerer Sammlung preisend, zuletzt den Winter also anspricht: Und so sprechen nicht bloß glücklich Liebende, die ja seit alters das unbestrittene Privilegium besitzen, in ihrer Begeisterung über all die gemeinen Einflüsse der prosaischen Wirklichkeit erhaben zu sein, auch Grillparzer spricht sich in seinem ernsten „Decemberlied" in ähnlichem Sinne aus, indem er, die Freuden innerer Sammlung preisend, zuletzt den Winter also anspricht:
  
-//Wer denn heißt dich Würger nur. \\ +//Wer denn heißt dich Würger nur.\\ 
-Du flichtst Lebenskränze, \\ +Du flichtst Lebenskränze,\\ 
-Und die Winter der Natur \\+Und die Winter der Natur\\
 Sind der Geister Lenze. // Sind der Geister Lenze. //
  
 Vollends von philosophischer Tiefe aber ist, auch wenn man ihn in seiner buchstäblichen Bedeutung auffasst, der viel citierte und selten beherzigte Ausspruch Goethes: Vollends von philosophischer Tiefe aber ist, auch wenn man ihn in seiner buchstäblichen Bedeutung auffasst, der viel citierte und selten beherzigte Ausspruch Goethes:
  
-//Lass regnen, wenn es regnen will, \\ +//Lass regnen, wenn es regnen will,\\ 
-Dem Wetter seinen Lauf, \\ +Dem Wetter seinen Lauf,\\ 
-Denn wenn's genug geregnet hat, \\+Denn wenn's genug geregnet hat,\\
 So hört's von selber auf.// So hört's von selber auf.//
  
friedrich_hitschmann_-_ueber_das_wetter.1732039058.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/11/19 17:57 von Daniel Schönfeld

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