Friedrich Hitschmann

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Hitschmann, Friedrich: Über das Wetter. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 16, S.136-137. Wien, 16. April 1893.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=140&size=45

Über das Wetter.

Eine philosophische Plauderei.


Glaube nicht, lieber Leser, dass ich vom Wetter reden will, weil ich sonst nichts zu sagen weiß, und mache es nicht wie jener bekannte Edelmann, der, als ihm zum erstenmal ein Buch über Meteorologie in die Hände fiel, ärgerlich ausrief: „Nicht genug, dass sie unablässig vom Wetter sprechen, fangen sie nun gar noch an, darüber zu schreiben.„ Erwarte von mir aber auch keine wissenschaftliche Abhandlung über den Golfstrom, die Passatwinde u. dgl., denn so interessant auch diese Dinge an sich sein mögen, würde ich mich doch an dieser Stelle keineswegs mit ihnen beschäftigen, selbst wenn ich etwas davon verstünde. Meine Absicht geht vielmehr dahin, das Wetter, wenn ich so sagen darf, von der psychologischen Seite zu fassen und besonders die Ursachen der auffallenden Erscheinung zu untersuchen, dass dasselbe ein so beliebter Gesprächsstoff ist oder doch war, ehe es für banal erklärt wurde und darum aufhörte, gesellschaftsfähig zu sein.

Die Nächstliegende dieser Ursachen ist jedenfalls die, dass eine Unterhaltung über das Wetter keinerlei Vorkenntnisse oder Geistesgaben voraussetzt. Wer über das neueste Theaterstück sprechen will, muss es gesehen oder doch wenigstens ans seinem Leibblättchen einige Phrasen darüber aufgelescn haben, und selbst wer sich, ehe er in Gesellschaft geht, in dem Conversationslexikon über die Tagesfragen orientiert, setzt dabei, wenn schon nicht seinen Verstand, so doch sein Gedächtnis in Contribution. Wem dagegen an einem Julinachmittag der helle Schweiß auf der Stirne perlt, oder wem der rauhe Octoberwind die Regentropfen klatschend ins Gesicht schleudert, vermag auch, wenn er just kein Geisteskind ist, doch völlig mühelos die Folgerung zu ziehen, es herrsche heute eine tropische Hitze oder das Wetter sei wieder einmal ganz abscheulich. Auch noch in einer anderen Hinsicht erweist sich dieser Erklärungsgrund als fruchtbar. Denn wie geistlose Leute dieses Thema bevorzugen, weil es ihrem Ideenkreise angemessen ist, so müssen bisweilen auch geistvolle Menschen zu diesem Gegenstand ihre Zuflucht nehmen, wo sie sich nämlich in der Zwangslage befinden, das intellectuelle Niveau irgend eines beschränkten Individuums zu berücksichtigen. Antwortet doch selbst Heine dem dürren Berliner Philister, der die originelle Bemerkung hinwirft, man habe heute „sehr scheenes Wetter“, in Anbetracht des Umstandes, dass man nie vorauswisse, wozu ein Mensch den anderen brauchen könne, mit dienstbeflissener Höflichkeit: „In der That, das Wetter ist sehr ,scheen'.„ Ein weiterer Grund für die Ausnützung meteorologischer Fragen für conversationelle Zwecke liegt darin, dass wir, wo immer wir uns befinden mögen, Gelegenheit, ja Veranlassung haben, darauf zurückzukommen. Das gilt nicht bloß von der Straße, der Promenade und anderen unter freiem Himmel gelegenen Orten, sondern auch von geschlossenen Localitäten. Wenn der eine, der eben ankommt, noch unter der Nachwirkung der Witterung steht, ein anderer, der im Begriffe ist, aufzubrechen, sich im Geiste bereits mit dem gleichen Gegenstand beschäftigt, und auch die Verweilenden es durchs Fenster mit ansehen können, wie die Wolken sich zu unförmigen Massen ballen, oder wie die Sonnenstrahlen in den dicht belaubten Zweigen der benachbarten Bäume spielen, was Wunder, wenn das Wetter und immer wieder das Wetter das Substrat der Unterhaltung wird. Mit diesen Ausführungen stimmt die Behauptung überein, welche der feinsinnige Beobachter Lazarus in seiner Skizze über „Die Gespräche“ aufstellt. Er sagt dort ungefähr: Wenn man mit einer größeren Anzahl von Personen in einem freiliegenden, wenn auch gegen die Unbilden der Witterung völlig geschützten Raume, etwa im Gartensaal eines Restaurants zusammen sitzt und es beginnt zu regnen, so wird man in kurzer Zeit von den meisten Anwesenden den Ausruf hören: es regnet, gleich als ob in dieser Naturerscheinung etwas Ungewöhnliches oder sonst Bemerkenswertes läge.

Aber weder die Geistlosigkeit der einen, zu denen sich auch die Gescheiten bisweilen herablassen müssen, noch der Umstand, dass wir sozusagen mit Haut und Haar im Wetter stecken und uns von seinem Einfluss nie und nirgends befreien können, würde hinreichen, die Häufigkeit der Wetterunterhaltungen zu erklären, wenn dieser Einfluss nicht in unserem Wesen begründet wäre. In der That hängen die Stimmungen der meisten Menschen weit mehr mit dem Thermo- und Barometer zusammen, als ihr Stolz eingestehen mag, und nicht bloß diejenigen unter uns, welche mit Gicht und Podagra, Frostbeulen oder alten Blessuren gesegnet sind, sondern auch vollkommen unlädierte, normal entwickelte Exemplare der Species Mensch können ihre Verwandtschaft mit dem Laubfrosch nicht verleugnen und zeigen in ihrer guten oder schlimmen Laune deutliche Spuren davon, woher der Wind weht. Und erinnerst du dich nicht auch aus deiner eigenen Erfahrung, lieber Leser, dass du, wenn dich die Strahlen der Morgensonne aus süßen Träumen wachgeküsst, mit beiden Füßen zugleich aus dem Bett gesprungen und dann den ganzen Tag über in rosiger Stimmung gewesen bist, während du ein andermal, wenn du beim Erwachen den Sturm heulen und den Regen an die Scheiben schlagen hörtest, dich noch mals aufs Ohr gelegt hast, um dich nach einer halb verdämmerten Stunde, mit wüstem Kopfe und verdrießlichem Sinn vom Lager zu erheben? Unter diesem Gesichtspunkte wäre es wünschenswert, jeden wichtigen Schritt, bei dem man auf den guten Willen eines anderen zu zählen gezwungen ist, wenn irgend möglich nur bei schönem Wetter zu unternehmen, Bittschriften nur bei Sonnenschein zu übergeben und einen ernst gemeinten Heiratsantrag beileibe nicht an einem regnerischen oder stürmischen Tage vorzubringen.

Da jedoch, wie schon Aristoteles gesagt hat, der Mensch ein geselliges Thier ist, so müssen sich auch die seinem Wesen eigenthümlichen Züge am deutlichsten dort beobachten lassen, wo er in Masse auftritt. In dieser Hinsicht ist es sehr bezeichnend, dass Revolutionen, die ja bei tausenden Menschen die höchste Anspannung geistiger und physischer Kraft voraussetzen, fast ausnahmslos bei gutem Wetter stattgefunden haben. Der 14. Juli 1789, an dem bekanntlich die Bastille erstürmt und die gewaltige Umsturzbewegung in Frankreich eingeleitet wurde, war ein schöner Sommertag, und an den berühmten Märztagen des Jahres 1848, die für Wien und Österreich von so entscheidender Bedeutung geworden sind, schien die Sonne hell und freundlich. Auch Heine, der stets zur Hand ist, wo es gilt, die Mittel und Mittelchen aufzuspüren, durch welche der Weltgeist seine blendendsten Effecte erzielt, hat diesen Zusammenhang erkannt, denn in seiner Correspondenz für die „Allgemeine Augsburger Zeitung„ vom Jahre 1830 bemerkt er, die Befürchtung der Regierung sei unbegründet, da bei so abscheulichem Wetter der Ausbruch von Unruhen durchaus nicht zu erwarten stünde. Übrigens war Heine selbst und mit ihm die Mehrzahl der Dichter in hohem Maße vom Wetter abhängig, nicht bloß darum, weil das Nervensystem dieser besonders zart organisierten Menschen bereits auf atmosphärische Einflüsse reagiert, die der gewöhnliche Sterbliche gar nicht wahrnimmt, sondern auch und vielleicht noch mehr deshalb, weil der Poet, zumal der lyrische, in den freundlichen Erscheinungen der Natur eine schier unerschöpfliche Liederquelle besitzt. Wer kennt sie nicht die tausende von Frühlingsgedichten, welche alljährlich mit und selbst vor den Schwalben herangeflattert kommen, um sich in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften, kurz in allem einzunisten, was irgend gedruckt und gelesen wird. Und wer kennt nicht die tausend anderen Gedichte, welche das Wetter, wenn nicht zum Gegenstand, so doch zum Ausgangspunkt oder zur Staffage ihrer Darstellung machen, von Lenaus berühmtem

Milde war die Maiennacht,
Silberwölkchen flogen,

oder

Vor Kälte ist die Luft erstarrt,
Der Schnee knarrt unter meinen Tritten —

bis herab zu dem philiströsen

Es regnet,
Gott segnet
Die Erde, die so durstig ist,

oder dem muthwillig-lasciven Studentenlied

Es regnet und es schneit
Und weht ein kühler Wind.

Bisweilen aber, freilich selten genug, begegnen wir auch einem Dichter, der uns ausdrücklich versichert, dass die Gewalt seiner Gefühle ihn über die des Wetters hinaushebe, und etwa triumphierend ausruft:

Ob es draußen Winter sei,
Was bekümmert's mich,
In mir, in mir ist es Mai,
Denn ich liebe dich.

Und so sprechen nicht bloß glücklich Liebende, die ja seit alters das unbestrittene Privilegium besitzen, in ihrer Begeisterung über all die gemeinen Einflüsse der prosaischen Wirklichkeit erhaben zu sein, auch Grillparzer spricht sich in seinem ernsten „Decemberlied“ in ähnlichem Sinne aus, indem er, die Freuden innerer Sammlung preisend, zuletzt den Winter also anspricht:

Wer denn heißt dich Würger nur.
Du flichtst Lebenskränze,
Und die Winter der Natur
Sind der Geister Lenze.

Vollends von philosophischer Tiefe aber ist, auch wenn man ihn in seiner buchstäblichen Bedeutung auffasst, der viel citierte und selten beherzigte Ausspruch Goethes:

Lass regnen, wenn es regnen will,
Dem Wetter seinen Lauf,
Denn wenn's genug geregnet hat,
So hört's von selber auf.

Friedrich Hitschmann.

friedrich_hitschmann_-_ueber_das_wetter.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/19 18:00 von Daniel Schönfeld

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