Hitschmann, Friedrich: Über Putzsucht und Koketterie. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung – Organ für hauswirtschaftliche Interessen, Nr. 3, S.63-64. Wien, 18. Februar 1894.
Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1894&page=67&size=45
Über Putzsucht und Koketterie.
Jedes Alter und Geschlecht, ja sogar jede Nation und jeder Stand hat das Vorrecht, gewisse Fehler zu besitzen, die ihm gutstehen und die man ihm, wofern sie ein gewisses Maß nicht überschreiten, willig zu verzeihen pflegt. Dieser Satz ist nicht ganz so ketzerisch, als es scheint. Ich will ihn jedoch, ohne seine Richtigkeit erst durch Anführung anderer Beispiele zu erhärten, sogleich auf den Fall anwenden, um dessentwillen ich ihn hier ausgestellt habe, und behaupte demnach dreist, dass Putzsucht und Koketterie am weiblichen Geschlecht gar keine Fehler sind, sondern erst durch das Übermaß dazu gemacht werden. Suchen wir uns zunächst über die Begriffe, auf die es dabei ankommt, Klarheit zu verschaffen, denn wie Geldstücke, die sich lange im Gebrauch befinden, so abgegriffen werden, dass man ihr ursprüngliches Gepräge kaum mehr zu unterscheiden vermag, so verlieren auch Worte, die man häufig anwenden gehört und wohl auch gedankenlos nachgesprochen hat, alle Deutlichkeit und Bestimmtheit und werden zur conventionellen Scheidemünze des Verkehrs, um deren philosophischen Feingehalt sich kein Mensch mehr bekümmert. Suchen wir diesen philosophischen Feingehalt zuvörderst an dem Grundbegriffe der Eitelkeit zu ermitteln, so ist unter diesem Ausdruck wohl nichts anderes zu verstehen als die Freude an den eigenen Vorzügen und an deren Anerkennung durch andere. Die weibliche Eitelkeit nun bezieht sich bekanntlich besonders auf Vorzüge der äußeren Erscheinung, und Putzsucht und Koketterie sind nichts weiter als verschiedene Formen des Bestrebens, diese Vorzüge zur Geltung zu bringen. All das scheint mir sehr natürlich und daher gar nicht anstößig zu sein, zumal da die Frau infolge ihrer feineren Organisation und weil sie ihre höhere Sensibilität nicht sosehr als der Mann im Kampfe ums Dasein abzustumpfen gezwungen ist, von jeher die erhabene Mission gehabt hat, dem heiligen Cultus der Schönheit zu dienen und dessen geweihte Opferflamme zu wahren und anzufachen. Es müsste, sollte ich meinen, jedermann bei einigem Nachdenken klar werden, dass es ungereimt und thöricht ist, dem weiblichen Geschlecht diese ebenso ehrenvolle als segensreiche Aufgabe zuzuweisen, und doch daran Anstoß zu nehmen, dass die Frau an dem, was ihr das Nächste ist, an dem eigenen Körper, das Schönheitsideal nach Kräften zu verwirklichen strebt. Aber die Moral, ruft man mir voll sittlicher Entrüstung entgegen! Sind die Eigenschaften, welche du vertheidigst, nicht die Wurzeln, aus denen unzählige verderbliche Laster entspringen? Begründet die Putzsucht nicht jene schnöde Selbstgefälligkeit, die über dem Behagen der eigenen Person das Wohl und Wehe der anderen völlig vergisst? Entwickelt sich aus der Koketterie nicht jene Kaltherzigkeit, die mit den heiligsten Empfindungen der Menschenbrust ein verwerfliches Spiel treibt? Kannst du leugnen, dass sie beide schon unendlich viele schwache Naturen in den Abgrund sittlicher Verkommenheit gestürzt haben? Und führen sie nicht auch im günstigsten Falle zu jenem oberflächlichen Wesen, jener Freude an nichtigen Äußerlichkeiten, die als das gerade Gegentheil jeder ideellen Bestrebung angesehen werden muss? Das sind viele Beschuldigungen auf einmal, und es wäre sehr umständlich, die selben systematisch Punkt für Punkt zu erledigen. Ich möchte freilich darauf wetten, dass die meisten der genannten Einwände von Männern herrühren, welche genöthigt sind, für die Toiletten ihrer Frauen und Töchter schwere, nicht moralische, sondern pecuniäre Opfer zu bringen, oder von solchen, die, das Herz geschwellt von den Seufzern einer unerwiderten Liebe, Trost und Rache darin suchen, über die Koketterie des weiblichen Geschlechtes im allgemeinen zu klagen, oder endlich von alternden, vielleicht auch unverheirateten Damen, die in wohlfeiler Sittenstrenge über eine Untugend schmähen, weil die Zeit dahin ist, in der sie sich ihrer selbst schuldig machen konnten. Wie dem aber auch sei, meiner Sache kommt es nicht zu statten. Denn es ist billig, dass, wenngleich der Kläger Partei ist, der Spruch des Richters doch mit Unparteilichkeit gefällt werde. Und so will ich denn mit möglichster Objectivität untersuchen, was sich auf die erwähnten Angriffe etwa erwidern lässt. Zunächst also scheint es mir, dass Putzsucht oder Koketterie niemals ein eigentliches Laster hervorrufen; das einzige, was ich allenfalls zugeben könnte, ist dies, dass sie, wo sie einen hohen Grad erreichen, auf eine verderbte Disposition des Charakters schließen lassen. Und dem gegenüber habe ich nur daran zu erinnern, dass sich meine Apologie von vornherein nur auf ein bescheidenes Ausmaß der in Rede stehenden Eigenschaften bezog. Zudem muss ich an dieser Stelle auf eine gewichtige Unterscheidung aufmerksam machen, welche meine Gegner übersehen zu haben scheinen. Wenn eine Frau zu Putz- oder Gefallsucht geneigt ist, so ist es nämlich durchaus nicht gleichgiltig, warum sie es ist, aus welchem Grunde sie gerne so schön erschiene als möglich. Es lassen sich, wenn ich richtig beobachtet habe, hier drei verschiedenwertige Motive constatieren. Die Frauen schmücken sich entweder für sich selbst oder für die Welt, oder endlich, um einem bestimmten Wesen zu gefallen. Der erste Grund ist entschieden der harmloseste, ja er ist nach dem früher Gesagten sogar ideeller Natur. Denn das innere Bedürfnis, sich zu schmücken, ohne jede Nebenabsicht einfach und schön zu sein, hängt mit der oben erwähnten culturellen Mission des Weibes zusammen, der es instinctiv Folge leistet, indem es die Schönheit zunächst an sich selbst verkörpert. Im zweiten Falle schmückt sich die Frau, um von der Welt bewundert zu werden; man nennt das Eitelkeit und glaubt es schon darum verurtheilen zu dürfen. Indessen kann ich nicht finden, dass die Freude darüber, sich von anderen bewundert zu sehen, an sich etwas so Böses sei. Im Gegentheil scheint mir viel Poesie in dem Gedanken zu liegen, dass man schon durch sein bloßes Dasein anderen Freude bereitet, und ich erinnere diesbezüglich nur an den Ausspruch des Dichters: „Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie thun, edle mit dem, was sie sind.“
Man schelte diese Auffassung immerhin aristokratisch, die Frauen sind nun einmal die geborenen Aristokraten der Menschheit, und glücklicherweise huldigt ein großer Theil von ihnen auch dem adeligen Grundsatze: noblesse oblige, so dass sie schon wegen ihres Wunsches, das Wohlgefallen der Welt zu erregen, keiner entschieden gemeinen Handlung fähig wären, durch welche sie dasselbe unfehlbar verscherzen müssten. Was endlich den dritten der angeführten Fälle betrifft, Putzsucht und Koketterie um eines bestimmten Individuums willen, so ist dies freilich der bedenklichste, aber auch hier hastet der Mangel nicht in dem Wesen, sondern bloß an dem Missbrauch des zugrunde liegenden Gefühls. Ich will, um das Gesagte zu illustrieren, ein Beispiel naiver Eitelkeit berichten, das entschieden in diese Rubrik gehört und gleichwohl einen beinahe rührenden Eindruck macht. Es handelt sich um eine Episode aus irgend einem alten Roman, dessen Titel mir entfallen ist. Die kleine Louise, ein Mädchen von acht Jahren, wird nicht im Hause ihres Vaters erzogen, sondern besucht ihn nur bisweilen mit ihrer alten Tante, die Mutterstelle an ihr vertritt. Eines Tages nun, da wieder solch ein Besuch bevorsteht, bittet sie ihre Erzieherin, ihr das weiße Kleidchen anzuziehen. Warum? fragt diese streng und rüstet sich schon zu einer tüchtigen Moralpredigt, um die Eitelkeit, die, wie sie meint, in dem Kinderherzen zu keimen beginnt, gleich im Entstehen energisch zu bekämpfen. Louise aber antwortet treuherzig, aber doch nicht ohne Befangenheit: Weil — weil Papa mich immer am liebsten hat, wenn ich das schöne, weiße Kleidchen trage. Fürwahr, der strengste Sittenrichter müsste dieser kleinen Kokette gut sein. Ich glaube, gezeigt zu haben, dass die beiden Eigenschaften, die man gewöhnlich als die Grundfehler der weiblichen Natur anzusehen pflegt, an sich gar keine Fehler sind, sondern es nur dadurch werden, dass man sie zur Erreichung schlechter Zwecke anwendet. Und wer da weiß, dass selbst das Edelste durch den Missbrauch geschändet werden kann, wird diesen Vorwurf nicht eben schwer nehmen. Will man sich jedoch das Heilsame, das in diesen vermeinten Fehlern liegt, recht deutlich zum Bewusstsein bringen, so befolge man das einfache Verfahren, sich dieselben aus dem Wesen der Frau einmal völlig wegzudenken. Wie viel Anmuth und Poesie gienge dabei verloren! Wie wenig vermöchte Reinlichkeit oder Nettigkeit im Anzug oder Verständigkeit und Höflichkeit im Betragen den zauberischen Reiz zu ersetzen, den ein wenig Putzsucht der Toilette und ein bisschen Koketterie dem gesellschaftlichen Verkehr des weiblichen Geschlechtes zu verleihen vermag. Es bestätigt sich eben auch hier der Ausspruch eines begeisterten Frauenfreundes: „Die Natur der Frau ist unverbesserlich, denn wer nur das Geringste an ihr ändern wollte, würde sie verschlechtern.“
Friedrich Hitschmann.