Friedrich Hitschmann

Die umfassende Dokumentation

Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


friedrich_hitschmann_-_literarische_frauenbilder_3

Hitschmann, Friedrich: Literarische Frauenbilder. III. Maria v. Ebner-Eschenbach. In: Kürt, Camilla (Hrsg.): Wiener Hausfrauen-Zeitung, Nr. 26, S.230-232. Wien, 25. Juni 1893.

Online-Version: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=whz&datum=1893&page=234&size=45

Literarische Frauenbilder.

III. Maria v. Ebner-Eschenbach.

Bertha v. Suttner bringt im Schriftstellerroman ihrer gefeierten Rivalin eine jener Huldigungen dar, die denen, welche sie zollen, und jenen, welchen sie gelten, in gleichem Maß zur Ehre gereichen. Dort antwortet nämlich die berühmte Schriftstellerin Maria v. Ebner-Eschenbach einer minder glücklichen Kollegin, welche darüber klagt, wie schwer es in unseren Tagen sei, einen Verleger zu gewinnen: „Das kann ich nicht finden; ich schicke meine Sachen ein und sie werden gedruckt.“ Die schlichte, sich des eigenen Wertes kaum bewusste Größe, welche sich in diesen Worten offenbart, charakterisiert das ebenso tiefe als anspruchslose Talent Maria Ebners auf das glänzendste. Wir wollen uns mit dieser interessanten dichterischen Persönlichkeit etwas eingehender beschäftigen, was um so zeitgemäßer erscheint, als die kürzlich veranstaltete Gesammtausgabe ihrer Werke die Theilnahme des großen Publicums für sie voraussichtlich nach erhöhen und festigen dürfte. In einer der aus diesem Anlasse erschienenen Besprechungen ist viel von der Genialität der Verfasserin die Rede. Mit Unrecht! Wie wohl mir in diesem Falle mehr ein begrifflicher Irrthum als eine Übertreibung vorzuliegen scheint.

Maria v. Ebner strebt nicht über den Kreis hinaus, welchen ihre Natur ihr gezogen, sondern begnügt sich, an ihrer Stelle das Vortreffliche zu leisten. Sie schildert nur, was sie selbst gesehen hat, und ihr Blick reicht nicht eben weit; desto besser aber versteht sie es, ihn in die Tiefe der Dinge dringen zu lassen, und ihre Darstellung gewinnt an Innigkeit, was sie an Mannigfaltigkeit einbüßt. Die Politik liegt ihrer weiblichen Empfindungsweise fern, und wo sie dieselbe gelegentlich streift, wie etwa in der köstlichen Novelle WDie Freiherren von Gemperlein„, welche Heyse bekanntlich in den „Deutschen Novellenschatz“ aufgenommen hat, geschieht es mit halber Ironie. An Philosophie besitzt sie nicht mehr, als jeder in sich selbst abgeschlossenen Persönlichkeit Bedürfnis ist, und selbst zu den eminent praktischen Fragen hat sie ein Verhältnis, das weit mehr durch das Gefühl als durch Reflexionen bestimmt wird. So spricht sie sich denn auch über die sociale Stellung der Frau, so häufig dieses Problem gerade von Schriftstellerinnen discutiert zu werden pflegt, nirgends in principieller Weise aus, sondern äußert sich nur aphoristisch über Erziehung, Convenienzehe, geistige Mesalliance und ähnliche Gegenstände. Besonders das Elend einer ungleichen Ehe, in welcher der tiefer stehende Theil den anderen zu sich herabzieht, schildert sie höchst beredt in dem Gleichnis von der Esche, deren vom Sturm gebeugtes Haupt sich im Geäst einer niederen Kiefer verstrickt hat und von dieser festgehalten wird. Die Stelle ist leider zu umfangreich, um hier reproduciert zu werden, und ich muss mich daher begnügen, den Leser auf den Roman „Unsühnbar“ zu verweisen, in welchem sie sich findet.

Zwei Gesellschaftsschichten sind es vorzugsweise, die Maria Ebner kennt und schildert: der Adel, dem sie selbst angehört, und das Landvolk, mit dem sie in ihrer Eigenschaft als Schlossfrau vielfach in Berührung kam. Ihren Standesgenossen sagt sie manche schroffe Wahrheit, vielleicht in der Voraussetzung, von der Mehrzahl derselben nicht gelesen oder doch nicht verstanden zu werden, wenigstens lässt sie den Schriftsteller Hallwig auf die Frage, ob seine adeligen Verwandten ihn lesen, entgegnen: „Ich zweifle manchmal, ob sie lesen können. Zwar die Frauen lesen wohl,“ fügt er sich verbessernd hinzu, „die alten englische, die jungen französische Romane.“ Als Beispiel ihrer Polemik gegen die Zustände der adeligen Gesellschaft führe ich nicht die Erzählung: „Er lässt die Hand küssen“ an, weil mir der bittere Sarkasmus derselben mehr die augenblicklich erregte Stimmung als das gesammte Wesen der Verfasserin zu charakterisieren scheint. Bezeichnend dagegen sind ohne Zweifel die beiden Novellen: „Zwei Comtessen“. In der leichtfertigen Sportcomtesse sucht Maria Ebner zu zeigen, wohin auch ein ursprünglich gut beanlagtes Geschöpf gelangt, wenn es der systematischen Verbildung überlassen bleibt, die an adeligen Kindern so häufig vorgenommen wird, und in der Methode, deren man sich dabei bedient, erhalten wir Einblick durch die Memoiren Gräfin Paulas, der ihr Caplan beim Geschichtsunterricht das ganze Zeitalter der Reformation wegescamotiert und die täglich das Gebet verrichten muss: „Lieber Gott, ich danke dir für alle Gnade, die du mir und meinem hohen Hause erwiesen hast.“ Um das Verhalten Maria Ebners zum Adel zu charakterisieren, sei hier noch eine Stelle aus der „Novelle Clodwig“ eingeschaltet, in welcher der Held sich über seine treulose Jugendgeliebte folgendermaßen ausspricht: „Unterschätzte sie meine Liebe? Wenn sie es nicht that, dann war sie grausam und feige. Ich glaube jetzt manchmal, dass sie es war. Diese Menschen müssen es werden! Sie unterdrücken solange den Schrei ihres Herzens, bis er verstummt. Ihr Selbst wird solange abgetödtet, bis es endlich ertödtet ist.“

Unter den Schilderungen des Lebens auf dem Dorfe hebe ich das Gemeindekind hervor, vielleicht das beliebteste Buch, das Maria Ebner geschrieben hat, und ganz gewiss dasjenige, welches die reichste Fülle treffender Einzelbeobachtungen enthält, ohne dass der lebenswahre Realismus des Werkes je die Grenzen des ästhetisch Erlaubten überschritte. Pawel, der Held, ist der Sohn eines Raubmörders, den man gehängt, und eines Weibes, das man wegen vermeintlicher Mitschuld auf Jahre hinaus ins Zuchthaus gesperrt hat, und die Art, wie der Heranwachsende Bursche sich aus der Atmosphäre von Elend und Schmach, die ihn umgibt, aus eigener Kraft allmählich zu einer geachteten Stellung emporringt, ist so lebenstreu und zugleich so fesselnd entwickelt, dass kein Leser der Verfasserin die aufrichtigste Bewunderung versagen wird, vorausgesetzt, dass er über der machtvoll wirkenden Dichtung noch Muße findet, der Hand zu gedenken, welche sie schuf. Auch die Nebenpersonen, selbst die nur episodisch behandelten, der Schullehrer, der im missleiteten Ehrgeiz sich für einen Hexenmeister ausgegeben und den selbstgeschaffenen Ruf nun nicht mehr loswerden kann, die Schlossfrau, welche Barschheit, Gutmüthigkeit, Widerspruchsgeist und Nachgiebigkeit, kurz die entgegengesetztesten Eigenschaften aufs Ungezwungenste in sich vereint, in ihnen allen steckt ein Stück Leben, sie alle haben Physiognomien, welche man nicht wieder vergisst, wenn man sie einmal gesehen hat.

Wichtig für den Zweck der vorliegenden Skizze ist endlich noch die hübsche Novelle „Lotti, die Uhrmacherin“, durch welche der Leser gewissermaßen ein persönliches Verhältnis zur Verfasserin gewinnt, nicht bloß weil Maria Ebner darin die Kunst der Uhrmacherei, die sie selbst in hohem Maße beherrscht, auf das glücklichste in die Handlung zu verflechten und durch liebevolle Detailmalerei uns nahezurücken verstanden hat, sondern noch mehr darum, weil sie in dieser Arbeit Gelegenheit findet, ihre Ansicht über die moderne Literatur auszusprechen. Das Urtheil lautet ungünstig genug. Sie erblickt in der Thätigkeit der gelesensten Autoren der Gegenwart nur ein ruheloses Hasten nach Beifall und Gewinn; ein wildes, unlauteres Streben, das, wie es kein Mittel scheut, auf die Nerven der Menge zu wirken, auch die Nerven der Schriftsteller selbst durch fieberhafte Anspannung in einen krankhaften Zustand versetzt. Es ist zu bedauern, dass Maria Ebner hier nicht einen Roman statt einer Novelle geschrieben hat, denn sicher hätte die geistvolle Frau uns noch viel über diesen Gegenstand zu sagen, abgesehen davon, dass größere Ausführlichkeit auch der etwas skizzierten Handlung der Novelle zugute gekommen wäre. Als interessant will ich noch hervorheben, dass die Verfasserin da, wo sie ihr ästhetisches Programm zwar nicht entwickelt, aber doch andeutet, fast die gleichen Worte gebraucht wie Bertha v. Suttner, indem auch sie sich für einen Realismus erklärt, der das Hässliche nicht vermeidet, wo es nöthig, aber auch nicht aussucht, wo es überflüssig ist.

Eine Charakteristik von Maria Ebner-Eschenbach wäre unvollständig, wollte ich nicht auch ihrer eigenartigen Darstellnngsweise mit einigen Worten gedenken. Aus der Zeit ihrer ersten literarischen Versuche, die dem dramatischen Gebiete angehörten, ist ihr eine Biegsamkeit und Leichtflüssigkeit der Diktion geblieben, die uns etwa in ihrer reizenden, durchaus in dialogischer Form gehaltenen Novelle „Bettelbriefe“ überaus anmuthend entgegentritt. Auch die schon erwähnte Novelle „Clodwig“ verläuft großentheils in Gesprächen zwischen dem Helden und seinem Freunde und erinnert vielfach ans Theater. Bewunderungswürdig ist übrigens der Reichthum der stilistischen Formen, über welchen Maria Ebner gebietet. Das heitere Märchen und die lehrhafte Parabel, das stimmungsvolle, lyrische Gedicht und der logische scharfe Aphorismus sind ihr in hohem Maß geläufig, und besonders in letzterem ist sie Meisterin, wie etwa die folgende Stelle über die Gleichgiltigkeit beweisen mag: „Die Gleichgiltigkeit setzt einen überall vor die Thür, sogar vor die des eigenen Hauses. Besitz' ich etwas, das mir gleichgiltig ist? Haben kann ich's, besitzen nicht! Die Gleichgiltigkeit ist blöd, grausam, frech, geht an der Schönheit vorbei ohne Begeisterung, am Elend ohne Mitleid, am Großen ohne Ehrfurcht, an Wunder ohne Andacht.“ In ihren Romanen und Novellen ist diese sichere Beherrschung der Form freilich nicht immer zu finden, und ich will auch auf diese, die schwache Seite im Talente der Verfasserin, einen Blick werfen, einerseits weil die Kritik gerade der bedeutenden literarischen Erscheinung gegenüber zu unbedingter Aufrichtigkeit verpflichtet ist, und andererseits, weil ich überzeugt bin, dass I. David recht hat, der schon vor Jahren in einer literarischen Skizze über Maria Ebner sagte: „Es ist merkwürdig, aber diese Frau kann selbst Tadel vertragen.“ Die Technik dieser Erzählerin erinnert bisweilen stark an den Frauenroman im schlimmen Sinne des Wortes. Da gibt es häufiger als billig eine mysteriöse Vorgeschichte um Wahnsinn, Ehe oder doch Treubruch, natürlichen Söhnen, welche verkommen u. dgl. Ja, „Ein kleiner Roman“, der sich um die Liebesgeschichte eines Grafen und der Erzieherin seines Kindes dreht, gemahnt direct an die „Waise von Lowood“ in der Form, in welcher diese unter gefälliger Vermittlung von Charlotte Birch Pfeiffer bei uns eingebürgert worden ist. Noch muss ich in diesem Zusammenhang einen Fehler rügen, auf den ich vielleicht bei anderer Gelegenheit ausführlicher werde zurückkommen müssen. Ich meine die Übertreibung des Kunstgriffes, den ich symptomatische Technik nennen möchte. Der Dichter, der sich außerstande fühlt, das Werden und Wachsen eines Entschlusses oder den allmählichen Stimmungswechsel einer Person mit wenigen Worten zu charakterisieren, sucht uns diese inneren Vorgänge durch eine Reihe mehr oder weniger entsprechender äußerer Anzeichen, Geberden, Bewegungen rc. deutlich zu machen. Er lässt den Helden mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehen, in einer plötzlichen Wendung am Fenster stehen bleiben und mit nervösem Finger an die Scheiben klopfen oder auch die Stirne an das kalte Glas drücken, und sich schließlich erschöpft in einen Lehnstuhl werfen. Ich will, um nicht gehässig zu erscheinen, keine Proben dieser Darstellungsart aus den Werken Maria Ebners citieren; auch behaupte ich nicht, dass sie dort besonders zahlreich zu finden seien, aber eine Künstlerin von ihrem Rang sollte füglich einen Fehler, der sonst nur dem Handwerk eigen ist, völlig zu vermeiden wissen. Übrigens thun die geschilderten Schwächen der Sympathie keinen Eintrag, welche der Leser, der sich in ihre Werke vertieft, für die Verfasserin gewinnt, und von ihr und ihren Büchern gilt in vollem Maße, was sie von der Novelle sagt, welche der Dichter Hallwig seinen Freunden vorliest: „Was er las, war nur eine einfache Herzensgeschichte. Offenbar hatte der Dichter nicht durch sein Interesse an seiner Fabel zu wirken gesucht; was da fesselte und bezwang, das war der Schönheitszauber, der im schlichten Bilde webte, das war die Wahrheit und die Leidenschaft, die es athmete, und wen man darin am liebsten gewann, das war der Dichter selbst“.

Friedrich Hitschman. [sic!]

friedrich_hitschmann_-_literarische_frauenbilder_3.txt · Zuletzt geändert: 2024/11/23 10:06 von Daniel Schönfeld

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki