Friedrich Hitschmann

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 Wichtig für den Zweck der vorliegenden Skizze ist endlich noch die hübsche Novelle "Lotti, die Uhrmacherin", durch welche der Leser gewissermaßen ein persönliches Verhältnis zur Verfasserin gewinnt, nicht bloß weil Maria Ebner darin die Kunst der Uhrmacherei, die sie selbst in hohem Maße beherrscht, auf das glücklichste in die Handlung zu verflechten und durch liebevolle Detailmalerei uns nahezurücken verstanden hat, sondern noch mehr darum, weil sie in dieser Arbeit Gelegenheit findet, ihre Ansicht über die moderne Literatur auszusprechen. Das Urtheil lautet ungünstig genug. Sie erblickt in der Thätigkeit der gelesensten Autoren der Gegenwart nur ein ruheloses Hasten nach Beifall und Gewinn; ein wildes, unlauteres Streben, das, wie es kein Mittel scheut, auf die Nerven der Menge zu wirken, auch die Nerven der Schriftsteller selbst durch fieberhafte Anspannung in einen krankhaften Zustand versetzt. Es ist zu bedauern, dass Maria Ebner hier nicht einen Roman statt einer Novelle geschrieben hat, denn sicher hätte die geistvolle Frau uns noch viel über diesen Gegenstand zu sagen, abgesehen davon, dass größere Ausführlichkeit auch der etwas skizzierten Handlung der Novelle zugute gekommen wäre. Als interessant will ich noch hervorheben, dass die Verfasserin da, wo sie ihr ästhetisches Programm zwar nicht entwickelt, aber doch andeutet, fast die gleichen Worte gebraucht wie Bertha v. Suttner, indem auch sie sich für einen Realismus erklärt, der das Hässliche nicht vermeidet, wo es nöthig, aber auch nicht aussucht, wo es überflüssig ist. Wichtig für den Zweck der vorliegenden Skizze ist endlich noch die hübsche Novelle "Lotti, die Uhrmacherin", durch welche der Leser gewissermaßen ein persönliches Verhältnis zur Verfasserin gewinnt, nicht bloß weil Maria Ebner darin die Kunst der Uhrmacherei, die sie selbst in hohem Maße beherrscht, auf das glücklichste in die Handlung zu verflechten und durch liebevolle Detailmalerei uns nahezurücken verstanden hat, sondern noch mehr darum, weil sie in dieser Arbeit Gelegenheit findet, ihre Ansicht über die moderne Literatur auszusprechen. Das Urtheil lautet ungünstig genug. Sie erblickt in der Thätigkeit der gelesensten Autoren der Gegenwart nur ein ruheloses Hasten nach Beifall und Gewinn; ein wildes, unlauteres Streben, das, wie es kein Mittel scheut, auf die Nerven der Menge zu wirken, auch die Nerven der Schriftsteller selbst durch fieberhafte Anspannung in einen krankhaften Zustand versetzt. Es ist zu bedauern, dass Maria Ebner hier nicht einen Roman statt einer Novelle geschrieben hat, denn sicher hätte die geistvolle Frau uns noch viel über diesen Gegenstand zu sagen, abgesehen davon, dass größere Ausführlichkeit auch der etwas skizzierten Handlung der Novelle zugute gekommen wäre. Als interessant will ich noch hervorheben, dass die Verfasserin da, wo sie ihr ästhetisches Programm zwar nicht entwickelt, aber doch andeutet, fast die gleichen Worte gebraucht wie Bertha v. Suttner, indem auch sie sich für einen Realismus erklärt, der das Hässliche nicht vermeidet, wo es nöthig, aber auch nicht aussucht, wo es überflüssig ist.
  
-Eine Charakteristik von Maria Ebner-Eschenbach wäre unvollständig, wollte ich nicht auch ihrer eigenartigen Darstellnngsweise mit einigen Worten gedenken. Aus der Zeit ihrer ersten literarischen Versuche, die dem dramatischen Gebiete angehörten, ist ihr eine Biegsamkeit und Leichtflüssigkeit der Diktion geblieben, die uns etwa in ihrer reizenden, durchaus in dialogischer Form gehaltenen Novelle "Bettelbriefe" überaus anmuthend entgegentritt. Auch die schon erwähnte Novelle "Clodwig" verläuft großentheils in Gesprächen zwischen dem Helden und seinem Freunde und erinnert vielfach ans Theater. Bewunderungswürdig ist übrigens der Reichthum der stilistischen Formen, über welchen Maria Ebner gebietet. Das heitere Märchen und die lehrhafte Parabel, das stimmungsvolle, lyrische Gedicht und der logische scharfe Aphorismus sind ihr in hohem Maß geläufig, und besonders in letzterem ist sie Meisterin, wie etwa die folgende Stelle über die Gleichgiltigkeit beweisen mag: "Die Gleichgiltigkeit setzt einen überall vor die Thür, sogar vor die des eigenen Hauses. Besitz' ich etwas, das mir gleichgiltig ist? Haben kann ich's, besitzen nicht! Die Gleichgiltigkeit ist blöd, grausam, frech, geht an der Schönheit vorbei ohne Begeisterung, am Elend ohne Mitleid, am Großen ohne Ehrfurcht, an Wunder ohne Andacht." In ihren Romanen und Novellen ist diese sichere Beherrschung der Form freilich nicht immer zu finden, und ich will auch auf diese, die schwache Seite im Talente der Verfasserin, einen Blick werfen, einerseits weil die Kritik gerade der bedeutenden literarischen Erscheinung gegenüber zu unbedingter Aufrichtigkeit verpflichtet ist, und andererseits, weil ich überzeugt bin, dass I. David recht hat, der schon vor Jahren in einer literarischen Skizze über Maria Ebner sagte: "Es ist merkwürdig, aber diese Frau kann selbst Tadel vertragen." Die Technik dieser Erzählerin erinnert bisweilen stark an den Frauenroman im schlimmen Sinne des Wortes. Da gibt es häufiger als billig eine mysteriöse Vorgeschichte um Wahnsinn, Ehe oder doch Treubruch, natürlichen Söhnen, welche verkommen u. dgl. Ja, "Ein kleiner Roman", der sich um die Liebesgeschichte eines Grafen und der Erzieherin seines Kindes dreht, gemahnt direct an die "Waise von Lowood" in der Form, in welcher diese unter gefälliger Vermittlung von Charlotte Birch Pfeiffer bei uns eingebürgert worden ist. Noch muss ich in diesem Zusammenhang einen Fehler rügen, auf den ich vielleicht bei anderer Gelegenheit ausführlicher werde zurückkommen müssen. Ich meine die Übertreibung des Kunstgriffes, den ich symptomatische Technik nennen möchte. Der Dichter, der sich außerstande fühlt, das Werden und Wachsen eines Entschlusses oder den allmählichen Stimmungswechsel einer Person mit wenigen Worten zu charakterisieren, sucht uns diese inneren Vorgänge durch eine Reihe mehr oder weniger entsprechender äußerer Anzeichen, Geberden, Bewegungen ec. deutlich zu machen. Er lässt den Helden mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehen, in einer plötzlichen Wendung am Fenster stehen bleiben und mit nervösem Finger an die Scheiben klopfen oder auch die Stirne an das kalte Glas drücken, und sich schließlich erschöpft in einen Lehnstuhl werfen. Ich will, um nicht gehässig zu erscheinen, keine Proben dieser Darstellungsart aus den Werken Maria Ebners citieren; auch behaupte ich nicht, dass sie dort besonders zahlreich zu finden seien, aber eine Künstlerin von ihrem Rang sollte füglich einen Fehler, der sonst nur dem Handwerk eigen ist, völlig zu vermeiden wissen. Übrigens thun die geschilderten Schwächen der Sympathie keinen Eintrag, welche der Leser, der sich in ihre Werke vertieft, für die Verfasserin gewinnt, und von ihr und ihren Büchern gilt in vollem Maße, was sie von der Novelle sagt, welche der Dichter Hallwig seinen Freunden vorliest: "Was er las, war nur eine einfache Herzensgeschichte. Offenbar hatte der Dichter nicht durch sein Interesse an seiner Fabel zu wirken gesucht; was da fesselte und bezwang, das war der Schönheitszauber, der im schlichten Bilde webte, das war die Wahrheit und die Leidenschaft, die es athmete, und wen man darin am liebsten gewann, das war der Dichter selbst".+Eine Charakteristik von Maria Ebner-Eschenbach wäre unvollständig, wollte ich nicht auch ihrer eigenartigen Darstellnngsweise mit einigen Worten gedenken. Aus der Zeit ihrer ersten literarischen Versuche, die dem dramatischen Gebiete angehörten, ist ihr eine Biegsamkeit und Leichtflüssigkeit der Diktion geblieben, die uns etwa in ihrer reizenden, durchaus in dialogischer Form gehaltenen Novelle "Bettelbriefe" überaus anmuthend entgegentritt. Auch die schon erwähnte Novelle "Clodwig" verläuft großentheils in Gesprächen zwischen dem Helden und seinem Freunde und erinnert vielfach ans Theater. Bewunderungswürdig ist übrigens der Reichthum der stilistischen Formen, über welchen Maria Ebner gebietet. Das heitere Märchen und die lehrhafte Parabel, das stimmungsvolle, lyrische Gedicht und der logische scharfe Aphorismus sind ihr in hohem Maß geläufig, und besonders in letzterem ist sie Meisterin, wie etwa die folgende Stelle über die Gleichgiltigkeit beweisen mag: "Die Gleichgiltigkeit setzt einen überall vor die Thür, sogar vor die des eigenen Hauses. Besitz' ich etwas, das mir gleichgiltig ist? Haben kann ich's, besitzen nicht! Die Gleichgiltigkeit ist blöd, grausam, frech, geht an der Schönheit vorbei ohne Begeisterung, am Elend ohne Mitleid, am Großen ohne Ehrfurcht, an Wunder ohne Andacht." In ihren Romanen und Novellen ist diese sichere Beherrschung der Form freilich nicht immer zu finden, und ich will auch auf diese, die schwache Seite im Talente der Verfasserin, einen Blick werfen, einerseits weil die Kritik gerade der bedeutenden literarischen Erscheinung gegenüber zu unbedingter Aufrichtigkeit verpflichtet ist, und andererseits, weil ich überzeugt bin, dass I. David recht hat, der schon vor Jahren in einer literarischen Skizze über Maria Ebner sagte: "Es ist merkwürdig, aber diese Frau kann selbst Tadel vertragen." Die Technik dieser Erzählerin erinnert bisweilen stark an den Frauenroman im schlimmen Sinne des Wortes. Da gibt es häufiger als billig eine mysteriöse Vorgeschichte um Wahnsinn, Ehe oder doch Treubruch, natürlichen Söhnen, welche verkommen u. dgl. Ja, "Ein kleiner Roman", der sich um die Liebesgeschichte eines Grafen und der Erzieherin seines Kindes dreht, gemahnt direct an die "Waise von Lowood" in der Form, in welcher diese unter gefälliger Vermittlung von Charlotte Birch Pfeiffer bei uns eingebürgert worden ist. Noch muss ich in diesem Zusammenhang einen Fehler rügen, auf den ich vielleicht bei anderer Gelegenheit ausführlicher werde zurückkommen müssen. Ich meine die Übertreibung des Kunstgriffes, den ich symptomatische Technik nennen möchte. Der Dichter, der sich außerstande fühlt, das Werden und Wachsen eines Entschlusses oder den allmählichen Stimmungswechsel einer Person mit wenigen Worten zu charakterisieren, sucht uns diese inneren Vorgänge durch eine Reihe mehr oder weniger entsprechender äußerer Anzeichen, Geberden, Bewegungen rc. deutlich zu machen. Er lässt den Helden mit großen Schritten im Zimmer auf- und abgehen, in einer plötzlichen Wendung am Fenster stehen bleiben und mit nervösem Finger an die Scheiben klopfen oder auch die Stirne an das kalte Glas drücken, und sich schließlich erschöpft in einen Lehnstuhl werfen. Ich will, um nicht gehässig zu erscheinen, keine Proben dieser Darstellungsart aus den Werken Maria Ebners citieren; auch behaupte ich nicht, dass sie dort besonders zahlreich zu finden seien, aber eine Künstlerin von ihrem Rang sollte füglich einen Fehler, der sonst nur dem Handwerk eigen ist, völlig zu vermeiden wissen. Übrigens thun die geschilderten Schwächen der Sympathie keinen Eintrag, welche der Leser, der sich in ihre Werke vertieft, für die Verfasserin gewinnt, und von ihr und ihren Büchern gilt in vollem Maße, was sie von der Novelle sagt, welche der Dichter Hallwig seinen Freunden vorliest: "Was er las, war nur eine einfache Herzensgeschichte. Offenbar hatte der Dichter nicht durch sein Interesse an seiner Fabel zu wirken gesucht; was da fesselte und bezwang, das war der Schönheitszauber, der im schlichten Bilde webte, das war die Wahrheit und die Leidenschaft, die es athmete, und wen man darin am liebsten gewann, das war der Dichter selbst".
  
 Friedrich Hitschman. //[sic!]// Friedrich Hitschman. //[sic!]//
  
  
friedrich_hitschmann_-_literarische_frauenbilder_3.1732303941.txt.gz · Zuletzt geändert: 2024/11/22 19:32 von Daniel Schönfeld

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